Schwarz-rot-goldenes Vaterland

Nostalgie statt Wahlkampf: CDU-Altkanzler Helmut Kohl schwadroniert im Congress Centrum über eine Generation, „die noch an sich geglaubt hat“, und die Lebenslügen der Linken

von Marco Carini

Es ist eine Inszenierung der gruseligeren Art. Als Helmut Kohl pünktlich 20 Minuten zu spät zu Fanfarenklängen das CCH betritt, taucht der halb volle Saal in dem Schwarz-Rot-Gold der ausgegebenen Deutschland-Fahnen unter. Vorbereitete Schilder mit der Aufschrift „Danke für die Einheit“ und „Danke für Europa“ werden dem Altkanzler entgegengereckt.

Und CDU-Landeschef Dirk Fischer lässt es sich nicht nehmen, gleich zu Beginn seiner Auftaktrede den verstorbenen Papst zu zitieren, der Kohl einst als „Baumeister der Einheit“ bezeichnet hatte. Heute stehen die Zeichen – das wird schnell klar – auf Nostalgie und „einig deutsches Vaterland“. Vaterland – ein Begriff, den selbst Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust an diesem Abend genüsslich in den Mund nimmt, wenn er über Deutschland spricht. Helmut Kohl sowieso, weil, wie er betont „so viel Emotion und Herz an diesem Wort hängt“.

„Mann, ist der aber alt geworden“, rutscht es einem orangegewandeten Mitglied des CDU-Wahlkampfteams heraus, als der 75-Jährige das Podium betritt. Vor drei Jahren im Wahlkampf aufgrund der Spendenaffäre noch von der eigenen Partei kaltgestellt, darf Kohl an diesem Abend über „die geschichtliche Perspektive Deutschlands“ sprechen – den Zipfel der Geschichte, mit der er sich so verbunden fühlt, noch einmal wehen lassen. Darf über seine erste Wahlrede sprechen, die er als „Beiredner“ schon 1949 gehalten hat. Darf über Trümmerfrauen und Wirtschaftswunder und eine Generation schwadronieren, „die noch an sich geglaubt hat“. Dagegen die Koalition von SPD und Grünen, durch die „ein Stück geschichtliche Entwicklung verloren gegangen“ ist. Helmut – gib uns Historie!

Kohl plaudert mehr, als dass er aggressive Wahlkampfrhetorik über den politischen Gegner ausschüttet. Beschreibt die „psychologischen und sozialen Verwerfungen“ bei Arbeitslosen, Lehrern oder mittelständischen Unternehmen, allesamt von dieser Regierung auf unterschiedliche Art und Weise „allein gelassen“. Weltsicht vom Vater der „geistig moralischen Wende“ gegen die, wie er es nennt, „Lebenslügen der Linken“.

An diesem Abend wird noch einmal spürbar, wie und warum das „System Kohl“ anderthalb Jahrzehnte so vortrefflich funktioniert hat. Geschichte eben.