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Archiv-Artikel

Frauenzweikampf im Osten

taz-Serie Wahlkreisduelle (Teil 5): Im Wahlkreis Märkisch-Oderland/Barnim II versucht Dagmar Enkelmann, das erste Direktmandat für die PDS außerhalb Berlins zu holen. Ihre Gegnerin: Petra Bierwirth. Sie gewann 2002 für die SPD

■ Die Wahlkreisduelle: Selten war der Kampf um Bundestags-Direktmandate in Berlin und der Region so spannend wie in diesem Jahr. 2002 gewann die SPD hier die meisten der Wahlkreise. Es ist unwahrscheinlich, dass die Sozialdemokraten dieses Ergebnis wiederholen. Die Union hat laut Umfragen zugelegt, auch die PDS besitzt gute Chancen, zusätzliche Mandate zu gewinnen. Die taz beobachtet jede Woche ein besonders spannendes Duell

VON RICHARD ROTHER

Die Hüpfburg wird schon abgebaut, das letzte Stück selbst gebackener Pflaumenkuchen ist an diesem sonnigen Samstagabend im August verkauft: das Sommerfest der Linkspartei.PDS Neuenhagen, ein prosperierender Ort am östlichen Stadtrand Berlins, plätschert seinem Ende entgegen. Mit Bier und Bratwurst, Bowle und Balladen eines müden Entertainerduos – alles ist, wie es sich für ein Volksfest einer Volkspartei gehört. Dagmar Enkelmann, die Spitzenkandidatin der Linkspartei im Wahlkreis Märkisch-Oderland/Barnim II, ist schon wieder unterwegs zum nächsten Auftritt, aber in den Köpfen der Parteibasis bleibt sie präsent. „Dagmar schafft’s“, sagt eine ältere Dame mit glänzenden Augen.

Enkelmann, die ehemalige „Miss Bundestag“ – wie ihre Internetseite verrät – und Brandenburger Fraktionschefin der Linkspartei, ist die Herausforderin in diesem Wahlkreis. Für die PDS-Nachfolgepartei soll sie zum ersten Mal einen Bundestagswahlkreis außerhalb Berlins gewinnen. Die Chancen stehen nicht schlecht, obwohl die Mandatsträgerin, Petra Bierwirth (SPD), seit 1998 im Bundestag sitzt. „Wir werden diesmal eins auf die Mütze kriegen“, sagt ein SPD-Kommunalpolitiker. Darunter werde auch Bierwirth leiden.

Großauftritt im Kreis

Bei der letzten Bundestagswahl gewann die SPD den Wahlkreis 59, bei den Kommunalwahlen ein Jahr später holte die PDS auf, und bei der Landtagswahl vor einem Jahr gewann sie mit dem Slogan „Hartz IV ist Armut per Gesetz“ die Direktmandate in dem Gebiet. 1.200 Mitglieder, 200 Kommunal- und sieben Landtagsabgeordnete stehen bereit, Enkelmann zu unterstützen. Dies wird Wirkung zeigen, obwohl Enkelmanns Konkurrenz auf den Wahlplakaten derzeit deutlich häufiger zu sehen ist.

Zwar ist der Gewinn dieses Wahlkreises für die Linkspartei.PDS nicht mehr wichtig, um den Einzug der Partei in den Bundestag zu sichern – durch die Zusammenarbeit mit der WASG im Westen ist die Fünfprozenthürde kein Thema mehr. Eine hohe symbolische Bedeutung hätte ein Sieg dennoch. Deshalb ist Enkelmann seit Wochen im Land unterwegs, immer charmant lächelnd, gerne mit im Wind wehenden blonden Haaren.

Es ist der offene Kampf zweier – erfolgreicher – Frauen aus Ostdeutschland. Weil es ihnen wohl wie selbstverständlich erschien, haben beide geschafft, was Familienpolitiker vielerlei Couleur als Zukunftsmodell für das Land preisen: Kinder und Karriere auf die Reihe kriegen. Hier die Mandatsinhaberin Bierwirth, die zu DDR-Zeiten auf dem zweiten Bildungsweg Ingenieurin in der Abwasserwirtschaft wurde, später Personalrätin war und heute stellvertretende umweltpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion ist; dort die Herausforderin Enkelmann, die in den 80er-Jahren Lehrerin an der FDJ-Kaderschmiede „Jugendhochschule am Bogensee“ war, seit 1990 politische Ämter für die PDS in Bund, Land und Kommune bekleidete und heute Fraktionschefin im Landtag ist.

Dem Dritten im Bunde, dem CDU-Kandidaten und Bundeswehroffizier Dierk Homeyer, in Ostwestfalen geboren, räumen die Analysten vom Wahlprognose-Institut Election.de höchstens Außenseiterchancen ein. Bei der letzten Bundestagswahl hatte Rainer Eppelmann hier zwar ein achtbares Ergebnis für die CDU erzielt. Diesmal hat die Partei allerdings mit den Attacken von Edmund Stoiber und Jörg Schönbohm auf die ostdeutsche Seele zu kämpfen; und die Kopfpauschale empfinden viele Märker als ungerecht, sogar zahlreiche CDU-Anhänger.

In Seelow, der Kreisstadt am Rande des Oderbruchs, einst der Gemüsegarten Berlins und heute Transitgebiet für Tanktouristen nach Polen, hat die PDS-Frau Enkelmann einen wichtigen Wahlkampfauftritt. „Jazz, Lyrik, Prosa“ heißt das Gartenfest auf einem hübschen Hof im PDS-Bürgerzentrum, der von märkischen Fachwerkhäusern umkränzt wird. Gekommen sind vor allem ältere Parteianhänger, ein paar Jugendliche, die sich sonst langweilen würden, und eine kleine Gruppe von Männern, die augenscheinlich vom Freibier der Partei angelockt wurden. Mehr oder weniger aufmerksam lauschen sie den Darbietungen: Eine ukrainische Band spielt Jazz und russische Volkslieder, deren Refrains das Publikum kennt und teilweise mitsingt; dazwischen lesen Künstler kurze Satiren sowjetischer Autoren.

Satiren im Wahlkampf

Auch Enkelmann trägt Satiren vor – allerdings deutsche. Ein Text handelt von der „Rentnerschwemme“, und die Anwesenden goutieren die Spitzen gegen Rentenkürzungen mit Lachen und Schenkelklopfen. Ein anderer Text handelt von der Dankbarkeit, die Deutsche ihren Regierungen entgegenbringen sollen. Er endet mit der Frage eines Westdeutschen an Ostdeutsche, warum sie heute so undankbar seien. Die Antwort: „Weil wir schon 40 Jahre Dankbarkeit hinter uns haben.“ Der Applaus ist Enkelmann sicher. Die Ostdeutschen wollen nicht mehr dankbar sein – schon gar nicht für Hartz IV, das aus langjährig Berufstätigen innerhalb kurzer Zeit Almosenempfänger machte und macht. Ein Schicksal, das im wirtschaftsschwachen Seelow jeder kennt – zumindest weil er jemanden kennt, der den Arbeitslosengeld-II-Antrag ausfüllen muss.

Die Sozialdemokratin Petra Bierwirth, Titelverteidigerin des Wahlkreises 59, beginnt ihren heißen Wahlkampf erst spät, gut drei Wochen vor der Abstimmung. „Wenn man ein Jahr durchgearbeitet hat, braucht man auch mal Urlaub“, heißt es in ihrer Umgebung – in Zeiten des Zwangs zur allgemeinen Verfügbarkeit eine durchaus sympathische Einstellung. „Aber jetzt starten wir voll durch.“

Dafür begibt sich die Umweltpolitikerin in die Niederungen der Kommunalpolitik, dorthin, wo es den Bürgern weh tut – im wahrsten Sinne des Wortes. Wer über die Hauptstraße von Wegendorf, einem kleinen Ort nordöstlich von Berlin fährt, bekommt schnell Schmerzen an Gesäß und Schulter – so holprig ist die alte Feldsteinpflasterstraße; einen Gehweg gibt es nicht. Um das Problem zu lösen, haben sich die Verantwortlichen am vergangenen Montagmorgen in einem Raum der schönen, neuen Kita versammelt. Gekommen sind Bierwirth, die Bürgermeister des Ortsteils und der Stadt Altlandsberg, zu der Wegendorf gehört, ein Vertreter vom Straßenbauamt in Frankfurt (Oder) und mehrere Experten.

Das Problem, das die Gemeinde mit vielen anderen teilt: Die Straße gehört dem Land Brandenburg, und das hat kein Geld, um zu sanieren. Oder es steckt das Geld, so eine andere Sichtweise, in sinnlose Vorhaben wie Ortsumgehungen um einwohnerschwache Gemeinden im Oderbruch. Die Folge: Seit zehn Jahren wird in Wegendorf, das seine Einwohnerzahl verdreifachte, geprüft, berechnet und versprochen – getan hat sich nichts. Die steuerzahlenden Wahlbürger fühlen sich verschaukelt. Grundsätzliche Änderung sei nicht in Sicht, gibt der Mann vom Straßenbauamt zu verstehen: Schadhafte Straßen seien ohnehin die sichersten, weil alle langsam führen. Außerdem wolle man schwachen Gebieten durch den Ausbau von Infrastruktur helfen, die Umlandgemeinden von Berlin hingegen wüchsen quasi von allein.

Bierwirth versucht, zwischen den aufgebrachten Bürgermeistern und dem Frankfurter zu vermitteln, sammelt Argumente, die für eine schnelle, etwa eine Million Euro kostende Sanierung der Straße sprechen. Die will sie beim Bauminister und Parteigenossen Frank Szymanski vortragen. An das Wunder glauben die Bürgermeister nicht mehr – sie wollen Protestaktionen organisieren, etwa eine Straßensperrung. Auch nach der Wahl geht das Leben in Wegendorf schließlich weiter.

Dann werden Bierwirth und Enkelmann – beide sind auf Platz zwei der Landesliste ihrer Partei gesetzt – im Bundestag sitzen, egal wer das Rennen direkt gewinnt. Im Moment geben sich beide siegessicher. „Natürlich gewinne ich“, sagt Bierwirth. „Ich habe ja in den vergangenen Jahren gute Arbeit gemacht.“ Enkelmann dazu: „Wir haben sehr gute Chancen.“ Im Bundestag brauche es eine soziale Kraft, „die den anderen Beine macht“.

So klingt Wahlkampf. Doch im Parlamentsalltag werden sich beide Randberlinerinnen vielleicht gemeinsam den Kopf darüber zerbrechen, wie sie die Probleme ihres Wahlkreises lösen. Denn der bildet die Situation der Bundesrepublik in Miniatur ab: Am Rande Berlins boomt es; der bescheidene Wohlstand führt zu Zersiedelung, immer mehr Verkehr und zu einem wachsenden Bedarf an Kinderbetreuung. Fern der Hauptstadt gehen die Lichter aus: Von den paar Windrädern, den Resten der Landwirtschaft und der einen oder anderen (Pferde-)Pension kann heute kaum jemand mehr leben. Die, die anderswo Fuß fassen können, wandern ab, und die anderen tragen ihre Sozialhilfe auf die Märkte jenseits der Oder. Wenn nicht gerade eine Flut kommt oder Stau ist an der Grenze, interessiert sich keiner für diese Region. Ob sich das nach dem 18. September ändert?