: Der Nachzieher
Von einem, der umzog, dem „pa plomp, plomp, pa plomp“ zu entgehen
Plomp, pa plomp, plomp, pa plomp, plomp, pa plomp, plomp, pa plomp. „Schatz, hörst du das?“ – „Was? Nein, ich hör nix.“ – „Hör mal genau hin. Direkt über mir.“ Plomp, pa plomp, plomp, pa plomp. „Okayyyy. Jetzt höre ich es auch. Das ist nicht wahr.“ Das war es aber, Zweifel ausgeschlossen. Er war wieder da und spielte mit dem verdammten Flummi. Plomp – die Wand, pa plomp – der Fußboden, plomp, die Wand, pa plomp, der Fußboden .
„Aber, Schatz, das kann nicht sein. Das ist unmöglich derselbe.“ – „Unmöglich? Dann warte mal ab.“ Das „Plomp, pa plomp“ verstummte. Zwei Minuten war Ruhe, dann ging es wieder los: Klick, klickklick, klick, klickdaklick, klick klick klick. „Hörst du, hörst du?“ – „Ja“, gab die Frau leise zurück, „die Mahjong-Steine. Aber wie hat er uns gefunden?“
Das fragte ich mich auch, beziehungsweise, eigentlich fragte ich mich das schon damals nicht mehr. Schließlich hatte er uns überall gefunden. Zuerst in Singapur. Eines Abends war er da. Vielleicht war er gerade eingezogen. Auf jeden Fall fing es damals an, so um elf jeden Abend. Zuerst der Flummi, und später dann Mahjong. Und immer direkt über meinem Bett, das heißt natürlich, in dem Zimmer ein Stockwerk drüber: Plomp, pa plomp, klick, klickdeklick. „Wie er uns gefunden hat?“, blaffte ich die Frau an. „Was weiß ich? Du bist doch die Asiatin. Genau wie er.“ – „Er? Woher weißt du, ob’s nicht eine Frau ist?“ Da hatte sie Recht. Wir hatten ihn noch nie gesehen. Nicht in Singapur, und nicht in Battambang, wo wir ein Jahr später lebten. Battambang, das Havanna Südostasiens. Wir wohnten im „Golden River Hotel“. Abends machten wir lange Spaziergänge am Fluss, aßen auf dem Nachtmarkt. Es war herrlich, bis er auf einmal wieder da war. Plomp, pa plomp, klick, klickklick. Jeden Abend, direkt über meinem Kopf.
„Nein, weiß ich nicht. Aber ein Asiat ist er. Wahrscheinlich sogar Chinese.“ – „Ja“, sagte die Frau, denn sie wusste so gut wie ich, dass nur Chinesen mit Mahjong-Steinen solchen Krach machen. Sie müssen sie aufs Brett knallen, sie können gar nicht anders. Klick, klickdeklick, dieses Klicken. Es war uns weiter gefolgt, durch den ganzen Osten Asiens. Auch nach Phnom Penh, nach Hanoi, Kunming, Hongkong und hier nach Peking.
Natürlich hatte ich immer wieder versucht, ihn zu stoppen. Gleich beim ersten Mal waren dafür 500 Singapurdollar fällig. Mrs. Lim, die Vermieterin, kassierte sie bei unserem Auszug, für die vielen Besenstielspuren an der Decke. In Phnom Penh hatte ich zwei Stunden vor seiner Tür gestanden und geklopft, aber er hatte nicht geöffnet. Dort gab ich ihm auch den Namen: „Nachzieher“, denn uns nachziehen war das, was er ganz offensichtlich tat. Er fand uns meistens in der zweiten oder dritten Woche. Und dann: Plomp, pa plomp, klick, klickklick. Immer in dieser Reihenfolge.
„Ihr Chinesen“, schrie ich die Frau an, „könnt unglaublich stur sein.“ – „Nun ja“, sagte sie. Es klang provozierend. „Ihr kümmert euch auch nicht um euren Nächsten. Weißt du noch, die Feuertreppe in Hongkong?“ Da hatte ich ihm eine ganze Woche lang im Treppenhaus aufgelauert, bei Tütensuppen und Baozi, ohne was von dem zweiten Aufgang zu wissen. Meine Frau war besser informiert, gesagt aber hatte sie mir gar nichts. Klick, klickklick, klick, klickdaklick. „Ich glaube, du steckst mit ihm unter einer Decke. Ich meine, Battambang, Phnom Penh, Kunming, okay. Aber Peking hat 15 Millionen Einwohner. Hier kann uns keiner finden, es sei denn …“ – „Aber, Schatz, ich schwöre. Ich habe nichts damit zu tun.“
„Ich schwöre.“ Es klingt mir heute noch in den Ohren. Dabei ist dieser Streit schon über zwanzig Jahre her. Verfluchte zwanzig Jahre, in denen er uns nie in Ruhe ließ. In Harbin nicht, und nicht in Wladiwostok. Selbst in Johannesburg oder Port-au-Prince konnten wir dem Nachzieher nicht entkommen. Aber wie sollten wir auch? Auf der ganzen Welt gibt es Chinesen. Plomp, pa plomp, der Flummi, klick, klickdeklick, das Mahjong.
Aber jetzt ist es vorbei. Endgültig. Vor drei Tagen habe ich ihn drangekriegt. Hier zu Hause, in der stillen Heimat. Ich habe jetzt kein Zimmer mehr, und auch die Ohren sind … Da kann er machen, was er will. Okay, jetzt nehmen sie mich vom Wagen runter, und ja, ich spür’s, jetzt geht es abwärts. Los, macht schon dicht, schaufelt endlich Erde drauf, ist ja doch keiner gekommen. Gut, sehr gut, das ist die erste Schaufel, die auf den Deckel fällt. Und jetzt die zweite. Verflucht, verflucht, das ist keine Erde, das ist. Plomp, pa plomp, plomp, pa plomp, plomp, pa plomp, plomp, pa plomp … CHRISTIAN Y. SCHMIDT