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Wie flatternde Lungenflügel

Die 30. Ausgabe von „Tanz im August“ wirft einen weiten Blick über die internationale Tanzszene und bringt dabei auch so überzeugende Berliner Choreografinnen wie Isabelle Schad ins Spiel. Nur: unter welchen Konditionen?

Von Astrid Kaminski

Die Welt ist schlimm, und es muss eigentlich nicht sein, an einer so schönen wie harmlosen Aufführung innerhalb eines bislang harmlosen Festivals (das muss man dieser Tage erst mal hinkriegen) rumzunörgeln. Es muss wirklich nicht sein, darum also hier ein Schlechter-Laune-Faktor-Exorzismus.

1. Die größte Geschmacklosigkeit zuerst: Den Tag statt mit Melonenshake mit Bier zu beginnen ist vermutlich noch nicht mal was für Leute, deren Grundwasserspiegel ohnehin schon von Prozenten durchsetzt ist. Wenn ich also schreiben will, wo ich gestern war, dann muss es heißen „KINDL – Zentrum für Zeitgenössische Kunst“. Prost. Absurderweise gehört KINDL gar nicht der Bierfirma, sondern ist als philantropisches Sponsorenmuseum angelegt und mit der schönsten Aussicht Berlins versehen.

Exorzismus 2: Wir nähern uns jetzt also in der Rückblende dem KINDERzentrum und werden von einem „Tanz im August“-Plakat gegrüßt, dessen Grafik auch im 30. Jubiläumsjahr des Festivals leider nicht gerade daran denken lässt, dass die Grenze zu den visuellen Künsten in den letzten Jahren erfolgreich durchbrochen wurde. Ganz schlimm wird es, wenn der Schriftzug der untereinandergesetzten Wörter „Tanz/im/August“ auch noch in ein Zickzacklogo abstrahiert wird.

Exorzismus 3: Im KINDERzentrum läuft also im Rahmen von „Tanz im August“ (TiA) die als Ausstellung gebrandmarkte Stückcollage „Inside Out“ von Isabelle Schad. Das ist (bis auf den Titel) erst mal schön (s. u.). Außerdem bemerkenswert, dass TiA inzwischen so großzügig Berliner Arbeiten programmiert. Im ersten Jahr der Festivalleitung von Virve Sutinen wurde der Standort Berlin ausgeblendet; das hat sich sukzessive verändert. In diesem Jahr sind neben Schad noch vier weitere Choreograf*innen dabei, die im Umfeld der Berliner Szene tätig sind: Thiago Granato, Adam Linder, Constanza Macras und Felix Mathias Ott. Der eine arbeitet im Bereich von Spekulation und Embodiment, der andere im Bereich des postkonzeptuellen Tanzes, Macras im Bereich des internationalen engagierten Tanztheaters, und Ott hat seine Sprache zwar noch nicht ganz gefunden, ist aber ein präziser handwerklicher Tüftler.

Die Frage ist nur: Worum geht es hier eigentlich? Ist TiA einfach eine Art Best-of-Festival? Oder geht es um irgendeine Korrespondenz der Positionen untereinander? Nehmen wir die Biennale „Tanznacht Berlin“ der Tanzfabrik dazu, die jeweils zu Festivalzeiten ausschließlich in Berlin arbeitende Künstler*innen präsentiert, macht sich noch mehr Ratlosigkeit breit: Dort werden die Arbeiten zwar kontextualisierter gezeigt, aber die Kombination aus beidem wirkt doch sehr wie Schaufensterauslage. Was bei TiA fehlt, ist einerseits ein Bezugssystem, das die Entscheidungen des Kuratoriums jenseits eines Best-of (eines ja recht überholten Blickwinkels) nachvollziehbar macht, andererseits die Möglichkeit, sich eingehender mit Arbeitsweisen und Positionen auseinanderzusetzen. Wenn es eher um den Schaufenstereffekt geht, wäre es konsequenter, alle im Berliner Kontext entstandenen Arbeiten wieder in die Tanznacht auszulagern und diese wiederum tatsächlich richtig (statt mit kollegialem Hinweis im Programmheft) in TiA zu integrieren.

Mal sind die Kleider der Tänzerinnen Fortsätze der Extremitäten, mal sind sie Vektoren, Aurafänger

Exorzismus 4: Dieser Mangel an Perspektivität, die auch eine Entscheidung für Pragmatismus sein kann, ist leider auch „Inside Out“ anzusehen. Schads Arbeiten sind sich prozessual entwickelnde Bühnenstücke, die sich mit energetischen Richtungen und organischen Formen befassen. Das heißt nicht, dass sie nicht auch einem hineinzoomen mit der Kamera oder einer Re-Kombinatorik standhalten – im Gegenteil. Aber indem sie in allzu strikten Zeitfenstern in die Ausstellungsräume des KINDERzentrums reingestückelt werden, verlieren sie teilweise ihren Sog, während die Möglichkeit des individuell Kontemplativen, das eine nicht durchgetaktete Museumspräsentation bietet, fehlt.

Läuterung: Zwar wäre es interessanter gewesen, sich der (zuweilen fast problematischen) Schönheit der postornamentalen Schad’schen Arbeiten intensiver zu stellen, aber ihre Intensivität spricht trotzdem für sich. In „Inside Out“ fokussiert sich Isabelle Schad vor allem auf zwei Aspekte ihres Schaffens: auf die erweiterte Anatomie in der Begegnung zweier Körper sowie auf die Kleidung als Membran, die sich – fast wie eine Umsetzung von Spinozas Substanzleere – aus einem Zusammenwirken von inneren und äußeren Kräften ständig neu formt. Mal sind die Kleider Extremitätenfortsätze, mal verzerren sie Körperformen und -prozesse, mal rahmen sie diese, mal sind sie Vektoren, Aurafänger, dann wieder werden sie zu einem außerphysischen Organ – mal reliktartig wie ein aufgeschnittener Kuhmagen, mal wie flatternde Lungenflügel, mal zusammengefaltet wie ein Darm.

In der Phasenverschiebung der jüngsten Arbeit, „Rotations“ (2018), scheint es manchmal, als würde der Luftstrom, den die drei Tänzerinnen erzeugen, als Formprinzip fortwirken und sie in kurze, schwingend-leichte Synchronitäten wehen, während das „Turning Solo“ für Naïma Ferré von 2017 wie eine Erweiterung von Drehtechniken, die dem Prinzip von Derwischtänzen folgen, wirkt: Nicht Ekstase ist das Ziel der hoch konzentrierten Selbstverschraubung, sondern die meditative Ausstülpung von Bewegungsenergien, die dem Sog des erzeugten Strudels standhalten. Eine beglückende Doppelmeditation, die die Welt auf jeden Fall besser macht.

Die 30. Ausgabe von „Tanz im August“ findet noch bis zum 2. September statt. www.tanzimaugust.de

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