Sturm über Neukölln
: Polnischer Abgang

Auf dem Hinterhof rumst es ansonsten quasi nie

Ich bin traurig. Mein liebes, kleines, hübsches Erdbeerpflänzchen, das so tapfer den Winter überstanden hatte und mir dann im Sommer zwölf niedliche Blüten, aber dann doch nur eine einzige rote Erdbeere beschert hatte – es ist von uns gegangen. Und wie. Es hat den ganzen Blumenkasten mitgenommen, inklusive Minze, Lavendel und Rosmarin. Früher gab es noch einen Salbei, aber der ist irgendwann eingetrocknet.

Gestern Abend gab es einen Sturm, den ersten richtigen Herbststurm, mit peitschendem Regen, Wind und Hässlichkeit. Ich dachte noch: „Hoffentlich hält der Blumenkasten.“ Der stand auf dem Außenfensterbrett, mangels Balkon, und war mit ein bisschen Blumendraht und Geschenkband festgemacht, aber halt eher so mittelfest. Das hat ganze zwei Jahre gehalten, und dann: rums. Ich wusste gleich, was das für ein Rumms war. Auf dem Hinterhof, wo er hingefallen ist, rumst es nämlich ansonsten quasi nie, weil man da gar nicht hinkann, außer aus den Fenstern der beiden Erdgeschosswohnungen. Aus der einen Wohnung ist gerade jemand ausgezogen, und mit den Leuten aus der anderen hab ich noch nie geredet. Weil es schon dunkel war, machte es keinen Sinn, zu gucken, wo und wie der Blumenkasten gelandet war, denn es gibt kein Licht auf dem Hinterhof, weil da nie jemand ist, außer manchmal ein Wäscheständer, aber auch nur im Sommer.

Morgens guckte ich dann. Und sah nur regennassen, sauberen Betonboden, kein Erdbeerpflänzchen und kein Grün oder Scherben oder Erde oder irgendwas, das an meinen kleinen Ersatzbalkon erinnerte. Ich ging ins Treppenhaus und auf den vorderen Innenhof, weil ich dachte, vielleicht hat jemand die Reste gefunden und irgendwo hingebracht. Da war aber auch nichts. In die Biotonne guckte ich nicht. Das fiel mir erst später ein, als ich schon wieder oben war.

MARGARETE STOKOWSKI