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Archiv-Artikel

Geschlossene Gesellschaft

Seit 20 Jahren gibt es den Hirschhof in Prenzlauer Berg. Nun ist der in Eigenregie entstandene Park zwischen Oderberger Straße und Kastanienallee gesperrt. Hauseigentümer und Bezirk verweigern den Zutritt. Neue Bürgerinitiative will Dampf machen

VON UWE RADA

Rückblick: Als vor 20 Jahren der Biologe Erhard Tapp von der Nationalen Front der DDR eine Urkunde im Rahmen des Vorhabens „Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach mit!“ bekam, wurde nicht nur der Vorsitzende des Wohnbezirksausschusses 55 in Prenzlauer Berg geehrt.

Die Urkunde ging – allerdings unbeabsichtigt – auch an die Oppositionellen in der Oderberger Straße. Mit der Zustimmung Tapps hatten die eine riesige Hinterhoffläche zwischen Oderberger Straße und Kastanienallee als Stadtteiltreffpunkt hergerichtet – in Eigenregie, unter den Argusaugen der Staatssicherheit und, auch das gab es, unter tätiger Mithilfe des Rates des Stadtbezirks, der seinerzeit eine Million Ostmark beigesteuert hatte. Das war die Geburtsstunde des „Hirschhofs“, benannt nach einer Skulptur von Hans Scheib, Anatol Erdmann und Stefan Reichmann. Sie zeigt einen Hirsch, zusammengeschweißt aus Schrott.

Das Bündnis zwischen Bürgerinitiative und lokaler Staatsmacht hielt. Im Hirschhof wurde gefeiert, getrunken, gestritten, und manch einer der Prenzlauer-Berg-Literaten hatte hier seinen großartigen Auf- oder Abtritt. Auf der Freiluftbühne liefen Filme, die sonst nirgendwo zu sehen waren, und mitten im Hirschhof stolperten die Besucher über einige Reste des Stadtschlosses. Die wurden von den Bewohnern, so will es die Legende, aus einer Deponie in Ahrensfelde entwendet und nach Prenzlauer Berg geschleppt. Pro Schloss – das war in der Oderberger Straße einmal eine Geste des Widerstands.

Dann kam die Wende und mit ihr die Rückübertragung. Die beiden Eingänge zum Hirschhof – über die Kastanienallee 12 und die Oderberger 15 – waren plötzlich Privateigentum. Doch die Eigentümer zeigten Einsicht, zumindest eine Zeit lang. Sie ließen die Tore offen, auch wenn auf dem Hirschhof bald schon die Partys der Jugendlichen die Feste der Oppositionellen ablösten.

Einblick: Inzwischen ist der Hirschhof geschlossen. Der Zugang von der Oderberger Straße aus ist gesperrt, der durch die Kastanienallee zu klein. Zumindest in den Augen des Natur- und Grünflächenamts. Die schmale Durchfahrt erlaube es nicht, den Hof instand zu halten und die Sicherheit zu gewährleisten, lautet das Argument. Also verriegelte die neue lokale Staatsmacht, was die alte erlaubt hatte, mit einer Kette. Und es gründete sich eine neue Bürgerinitiative. Das Ringen um den Hirschhof ging in eine neue Runde. „Wir alle hoffen auf eine Lösung“, sagt Bernd Krüger. Am vergangenen Sonntag feierten 150 Anwohner 20 Jahre Hirschhof. Krüger gehört zur neuen Bürgerinitiative. Die Besucher kamen über die Kastanienallee 12. Das gehört zum Spiel. „Mal ist die Kette vor, mal ist die Kette kaputt“, sagt einer.

Daran wird sich so schnell nichts ändern. Das Bündnis zwischen neuer Bürgerinitiative und lokaler Staatsmacht muss erst noch wachsen. Das mit den Eigentümern ist ohnehin verloren. Aus der Oderberger 15 heißt es: Die Zufahrt bleibt geschlossen. Nicht einmal mehr Gespräche gibt es. „Was wäre“, fragt einer, „wenn die Schlossreste nun für den Neubau gebraucht würden? Die müsste man mit dem Hubschrauber rausholen.“

Ausblick: Inzwischen hat sich die Bezirksverordnetenversammlung der Sache angenommen. „Freier Zugang zum Hirschhof“ verlangen die Abgeordneten. Das hätten sie schon früher haben können. 50.000 Euro hat der Bezirk vor einigen Jahren in die Sanierung des Hirschhofs gesteckt. Den Zugang zu sichern wurde vergessen. Andere Bezirksämter haben sich an anderen Orten Durchwegungsrechte gesichert.

Bernd Krüger bleibt dennoch optimistisch. „Zur Not muss man über ein Nachbargrundstück auf den Hof kommen“, fordert er. Das sieht man inzwischen auch im Bezirksamt so. Bis Ostern nächsten Jahres, verspricht Umweltstadtrat Matthias Köhne (SPD), soll es eine Lösung geben.

Bis dahin ist der Hirschhof wieder Undergroundsache. Rein kommt, wer seine Ketten sprengt. Warum sollte im Kapitalismus einfach sein, was im Sozialismus einfacher war?