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Archiv-Artikel

Bilder, die einen direkt ansprechen

HOLOCAUST IM COMIC Eine Ausstellung im Berliner Archiv der Jugendkulturen zeigt, wie Faschismus ein Thema im Comic wurde. Und dass Comics ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur sein können

Auch eine harmlose Comicfigur kann von rechts vereinnahmt werden

VON ANDREAS HARTMANN

Die Geschichte klingt fast schon zu bizarr, um wahr zu sein. 1995 stürmte die Polizei die Büroräume des kleinen deutschen Alpha Comic Verlags. Man ging dem Verdacht nach Schwulenpornografie in Ralf Königs „Kondom des Grauens“ nach, was an sich ja schon ein skurriler Grund für eine Durchsuchung ist. Doch da man schon mal da war bei den Machern vermeintlicher Schmuddelcomics, schaute man sich noch etwas genauer um und entdeckte tatsächlich Hakenkreuze in dem Comic „Schrei nach Leben“, der den Holocaust thematisiert und sogar vereinzelt im Schulunterricht eingesetzt wurde.

Außerdem wurde ein Plakat beschlagnahmt, das Art Spiegelmanns weltberühmten Holocaust-Comic „Maus“ bewirbt – auch hier fand sich ein Hakenkreuz abgebildet. Der kleine Verlag wurde prompt verklagt, unter anderem wegen des Verdachts der Verbreitung rechtsextremistischer Inhalte, der Prozess gegen ihn zog sich über Jahre hin, und Deutschland hatte eine juristische Posse von besonderer Güte.

Für Ralf Palandt, Kommunikationswissenschaftler und Comicexperte, war dieser Vorfall rund um preisgekrönte Comics, die sich explizit gegen Nazismus wenden und trotzdem wegen der Abbildung von Hakenkreuzen als rechtsextrem verdächtigt wurden, der Auslöser, sich näher mit der Frage nach der Darstellbarkeit der Schoah in einem Medium wie dem Comic zu beschäftigen.

Der Fall Alpha Comic Verlag ist dann auch der Beginn seines Rundgangs zum Thema „Holocaust im Comic“, den er nun in den Räumlichkeiten des Archivs der Jugendkulturen konzipiert hat. Die Ausstellung sieht sich eher als Einführung in eine Thematik, die aktueller und vielfältiger ist denn je. Comicverlage tun sich immer noch teilweise schwer, auch in dezidiert nicht rechten Comics Hakenkreuze abzubilden, und üben lieber Selbstzensur, als sich dem Verdacht auszusetzen, auf dem rechten Auge blind zu sein. Und seit dem Selbstbezichtigungsvideo der neonazistischen Terrorgruppe NSU weiß man, dass auch eine sonst so harmlose Comicfigur wie der Rosarote Panther von rechts vereinnahmt werden kann. Wobei Ralf Palandt sagt, dass er vom Auftauchen des Rosaroten Panthers bei der NSU weniger überrascht war als der Verfassungsschutz. Schon seit Jahren gibt es diese Aneignungen von Comicfiguren für rechtsextreme Zwecke, und so sieht man auch in seiner Ausstellung einen „Peanuts“-Comic, der schon in den frühen Achtzigern von einem Fanzine von Naziskins für die Verbreitung antisemitischen Inhalts missbraucht wurde. All diese Facetten rund um Zensur und Rechtsextremismus im Comic deutet die Ausstellung nur an, dafür ist sie zu klein. Sie vermittelt einen Eindruck davon, wie komplex die Thematik ist, die Palandt selbst in seinem Reader „Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Comics“ ausführlich behandelt und der ebenfalls im Archiv der Jugendkulturen ausliegt. Im Kern zeigt „Holocaust im Comic“, auch gerichtet an Didaktiker und Schüler, wie Faschismus ein Thema im Comic wurde. Das reicht dann von satirischen Comics wie den „Sturmtruppen“ bis hin zu „Holocaust-Exploitation“ – ausgestellt ist etwa ein Comic, der Captain America zeigt, wie er auf dem Motorrad in ein KZ fährt und dessen Insassen befreit – und italienischen SM-Porno-Comics, in denen sich Wärter der SS mit Gefangenen vergnügen. Der Holocaust als Hintergrund für Action und Porno, das mag man geschmacklos finden, das gibt es aber, und deswegen, so Palandt, hat es auch Eingang in seine Ausstellung gefunden. Er selbst empfiehlt eher „Auschwitz“ von Pascal Croci, aus dem auch ein paar Panels gezeigt werden, und holt den neuen Comic, „Der Boxer“, von Reinhard Kleist aus der Tasche, der zu aktuell für die Ausstellung war, den Palandt aber für einen sehr gelungenen Holocaust-Comic hält. Ralf Palandt sagt, er möchte mit seiner Ausstellung keine Werbung für bestimmte Comics machen. Ziel ist es, auch denjenigen zu verdeutlichen, bei denen immer noch nicht angekommen ist, wie gelungen etwa „Maus“ den Holocaust verarbeitet, dass Comics auch die diffizilsten Sujets gelungen darstellen können. „Comics können Bestandteil der Erinnerungskultur bezüglich der Schoah sein“, erklärt er, mit „Bildern, die einen direkt ansprechen.“

Bleibt nur zu hoffen, dass die Staatsanwaltschaft bereits dazugelernt hat, was die künstlerische Wertigkeit von Comics betrifft. Das „Maus“-Plakat mit dem Hakenkreuz hängt schließlich auch bei der Ausstellung aus.

■ „Holocaust im Comic“. Ausstellung im Archiv der Jugendkulturen. Bis zum 2. November