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Eine deplatzierte, liegende Wendeltreppe

Im idyllischen Glückstadt an der Unterelbe gibt es viel Kulturgeschichte, aber auch einen Kunstverein für das Gegenwärtige. Der zeigt gerade Skulpturen von Andreas Peiffer

Von Hajo Schiff

Elbabwärts auf halbem Weg zwischen Hamburg und Cuxhaven liegt Glückstadt. Was für ein Name! Eine Stadt im Glück. Christian IV., König von Dänemark und Norwegen und Herzog von Schleswig und Holstein, hat diese im Kern annähernd sechseckige Festungsstadt an der Elbe 1617 gegründet.

Anfänglich war die am Reißbrett geplante Stadt ein Erfolgsmodell, vor allem durch die den Exilanten hier gebotene Religionsfreiheit, durch kostenlos zur Verfügung gestellte Baugrundstücke und Steuerprivilegien: Sephardische Juden und Katholiken, niederländische Reformierte und Mennoniten siedelten sich an.

Obwohl im 30-jährigen Krieg nie erobert, konnte die Hafenfestung unter dem Wappen der Fortuna, in misslicher Konkurrenz zum dänischen Altona und zur Freien und Hansestadt Hamburg aber letztlich nie die ihr gewünschte glücklich überragende Bedeutung erringen.

Doch Schifffahrt war gestern, nun gibt es auf der Strecke Autos im Stau. Die Bahn aber braucht nur knapp 40 Minuten von Hamburg. Es gibt viele Pendler, es gibt Tourismus und Matjeswochen, Wind am Deich und Kulturgeschichte: einen Markt mit Kirche, geschmückt mit einem 1630 von einem Hamburger Kriegsschiff erbeuteten Anker, ein zentrales Fleet, einen idyllischen Hafen und viele Gebäude aus dem 17. und 18. Jahrhundert.

Es ist ein wenig eine andere Welt, eine, in der stromaufwärts und stromabwärts noch klare Richtungen sind und eine Fähre auf die andere Seite des Flusses nach Niedersachsen führt. Das Land ist flach, der Himmel weit und hinter dem Horizont liegt Amerika, noch vor dem Horizont allerdings steht das Atomkraftwerk Brokdorf.

Mehr über die Regionalgeschichte ist im Detlefsen-Museum zu erfahren, es befindet sich im Brockdorff-Palais, einem der ältesten der Stadt. Und es gibt wunderbarerweise einen Kunstverein fürs Gegenwärtige. Auch der befindet sich in einem prächtigen Bau: Das „Palais für aktuelle Kunst“, kurz PAK genannt, residiert in einem Gebäude im Stil der niederländischen Renaissance.

Immer wieder reizt es Künstlerinnen und Künstler, sich mit einem Gebäude auseinanderzusetzen, das auf die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts zurückgeht. Das genaue Baudatum ist nicht bekannt, ebenso wenig wie die ursprüngliche Bedeutung des in den barocken Türsturz gemeißelten Spruchs „Quasi non possidentes“ (gleichsam nichts Besitzende).

Da es durchaus teuer gewesen sein muss, ein solches Palais mit seinen Kolossalpilastern und acht Fensterachsen zu errichten, ist es vielleicht ein Hinweis auf einen Glaubensflüchtling, der hier aus der Armut einen Aufstieg schaffte, oder es ist barocktypisch ein Memento mori in dem Sinne, dass aller Besitz im Wissen um das Jüngste Gericht doch nur nichts ist.

Der Versuch, durch dieses Portal zu schreiten, scheitert zurzeit aber an der Intervention des in Hamburg und München lebenden Künstlers Andreas Peiffer. Sein „Architekturelement #9“ versperrt den Eingang: Durch Stützen gesichert, mit Klammern gehalten, schrauben sich die einzeln gegossenen Betonsegmente durch die drei Räume des Erdgeschosses. Es ist eine faszinierend deplatzierte, liegende Wendeltreppe, in den Maßen so errechnet, dass sie gerade noch durch die zwei Türen passt.

Andreas Peiffer war an der Akademie in München Meisterschüler des Bildhauers Olaf Metzel. Wie der arbeitet auch Peiffer gern mit Dekonstruktionen und verfremdeten Objekten. Im zweiten Stock des PAK zeigt er ein Video von einer Arbeit in Detroit, USA. Nach einer Anfahrt durch die winterliche, menschenleere Stadt ist der schwierige Versuch zu sehen, ein verlassenes Einfamilienhaus zu begehen.

Denn Andreas Peiffer hat das Gebäude aufgeschnitten und senkrecht eine fünf mal fünf Meter große Betonplatte eingegossen. Der Mann produziert Probleme: Durch fast groteske Verfremdungen wird der Sinn für fehlerhaft auferlegte soziale Ordnungen und ge- und verbaute Proportionen geschärft.

In seiner „Versuche an Zwang und Gleichmaß“ genannten Glückstädter Ausstellung gibt es noch zwei dysfunktionale Objekte. Sie wurden durch eine filmisch dokumentierte Performance belebt. Eine hängende Wand wird in den Raum gestemmt und in der Schräge gehalten, solange es geht.

Und ein unerklärliches, scharfkantiges, mit einer Eisenkette verzurrtes Element ist sichtbar zu schwer, um es haltend zu präsentieren. Beide Male scheitern die Protagonistinnen an der Aufgabe.

Weiteres Scheitern ist in dem Film „Christine“ von Alan Clarke zu sehen. Es zeigt den seltsam normalen Alltag von heroinabhängigen Kindern im Mittelklasse-England der späten Achtzigerjahre. Bis auf das ständige Spritzensetzen scheint die kleinbürgerliche Welt des Vororts dort ganz in Ordnung.

Andreas Peiffer projiziert den Film auf unregelmäßig hängende, silbrige Textilbahnen mit einem aufgesteppten, betonverstärkten spitzen Rautenmuster. Auch hier verstärkt die plastische Intervention die an sich schon dystopische Situation.

All das unter dem Rokoko-Stuck eines adeligen Palastes zu sehen, ist dann noch einmal eine weitere Verfremdung, die keiner Idylle glaubt – nicht einmal der von dem schwierigen und bisweilen von den Bürgern unverstandenen Einsatz für Gegenwartskunst in einer schönen Kleinstadt.

Bei der Eröffnung setzte der Industriefragmente-Bildhauer Andreas Peiffer allerdings ein gefundenes Bauelement freundlich zur Verpflegung ein: Auf einer direkt mit Butan erhitzten metergroßen Stahlplatte wurden Hamburger gebraten.

„Versuche an Zwang und Gleichmaß – Andreas Peiffer“, Palais für aktuelle Kunst – Kunstverein Glückstadt, Am Hafen 46, Fr – So 13 – 17 Uhr, bis 26. August. Katalogpräsentation und Künstlerführung: Sonntag, 19. August, 15 Uhr. www.pak-glueckstadt.de

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