Einen Mythos zersetzen

USA Der Schriftsteller Alex Capus hat die verlassenen Minenstädte des Wilden Westens besucht. Entstanden ist ein kleines Buch mit kunstvoller Ironie und mächtiger Tragik

VON TANIA MARTINI

Ausgerechnet in der „Großen Depression“ der 1930er Jahre gebar die US-amerikanische Kultur die Legende vom stärksten aller weißen Männer, vom Cowboy: einer zutiefst romantischen Figur, die von Freiheit und Ich-Identität erzählt. Der „Singing Cowboy“ lächelte die Weltwirtschaftskrise einfach weg, als Subsistenzwirtschaftler beschäftigte sie ihn ohnehin nicht. Die Verklärung der Trapper, Goldsucher und Siedler war fortan in der Welt und sollte die weitere Entwicklung des Western-Genres prägen. Die reale Geschichte von der Besiedelung des Wilden Westens war jedoch weniger eine von vorzivilisatorischer Freiheit als eine von Vertreibung und Aneignung. Die Freiheit des Cowboys wie auch des Desperados ist keine gerechte. Und es ist verwunderlich, wie in diesen beiden Figuren das Romantische sich durch das Gewalthafte hindurch erzählen lässt.

Das gerade 80 Seiten starke Buch „Skidoo“ des Schweizer Autors Alex Capus konfrontiert die mythische Wild-West-Freiheit mit ihrer gewalthaften Banalität. Scheinbar naiv berichtet er von der Reise in die Geisterstädte des Wilden Westens, von Kleinstädten, „die einander zum Verwechseln ähnlich sehen, das war im Wilden Westen nicht anders als im Schwarzwald – nur dass amerikanische Kleinstädte nicht in Sichtweite zueinander stehen“.

Unaufgeregt, selbstironisch und witzig erzählt Capus, der selbst ein ewiger Kleinstädter ist, wie er sagt, skurrile individuelle Geschichten, die sich in den Siedlungen um das Death Valley und den Grand Canyon herum zugetragen haben. Gestützt durch Fotos und Zeitungsartikel ergibt das Zusammengetragene ein lustiges Gesamtbild, in dem der ganze Wilde Westen als eine depremierende Veranstaltung von Teilzeit-Desperados erscheint.

Zum Beispiel die Geschichte von Hootch Simpson, der sich einen Bohemien nannte, 1908 in einem Streit seinen Bankier tötete und dafür zweimal gehängt wurde, einmal von wütenden Mineuren nach Feierabend und ein zweites Mal von einem Doktor für ein Foto. Seinen Tod fand die lokale Zeitung gerecht, kostengünstig und lehrreich. Der Schädel des Gehängten wurde noch Mitte des 20. Jarhunderts einem lokalen Museum als Ausstellungsstück angeboten, wie Capus recherchiert hat. Das Museum musste jedoch ablehnen, weil aus Pietätsgründen lediglich die Annahme von Indianerknochen erlaubt war. Dem Gehängten lässt Capus ein Jahrhundert später Gerechtigkeit widerfahren, denn er fand in einer Zeitungsmeldung der New York Times heraus, dass Hootch Simpson die Southern California Bank gar nicht überfallen wollte, sondern bloß was von seinen 25.000 Dollar, die er dort deponiert hatte, abheben wollte.

Capus trägt Unglaubliches zusammen, und manches Mal beeindruckt auch bloß sein ins Absurde abdriftendes Kombinationsvermögen, wenn er etwa dem Bierbrauer Munzinger im Death Valley in genealogischen Sprüngen Urururvorfahren in der Schweiz nachweist.

Capus’ tragische Helden sind Gelegenheitszuhälter, chinesische Wanderarbeiter, Indianer, die mit viel List Spanier abschütteln, Bordellbesitzerinnen oder ein gewisser Jonatham Newhouse, der eine Rüstung gegen Hitze erfunden hatte und in ebendieser erfror.

Schön auch die Epsiode, in der Abgesandte der US Army sich 1855 nach Nordafrika aufmachen, um Kamele einzukaufen, die den Weg nach Westen zeigen sollten. „Lieutenant David Dixon Porter und Major Henry C. Wayne unternahmen einen ersten Landgang und taten im Vollbesitz ihrer amerikanischen Arglosigkeit den Viehhändlern des Hafenviertels kund, dass sie Amerikaner seien, viele tausend Dollar in der Tasche hätten und fest entschlossen seien, ein Kamel zu kaufen.“ Die Kommandanten ließen sich erst einmal Tiere mit Kamelkrätze andrehen, und Capus gibt der Geschichte eine weitere schöne Wendung, wenn er nachweist, dass die berühmte Route 66 jener alte Trampelpfad ist, den die importierten Kamele gingen. Und fügt hinzu: „Ich sah Tausende von Motorradfahrern, die auf dieser Straße ihrem Traum von einem anderen Leben hinterherfuhren, immer mit konstant 80 Meilen pro Stunde … Man sah es ihnen an den ängstlich hochgezogenen Schultern an, dass sie im richtigen Leben keine Easy Rider waren, sondern Fliesenleger, Architekten und Wirtschaftsprüfer aus Brunsbüttel.“

Capus’ Buch macht Spaß, trotzdem in seinen Beschreibungen der Landschaft und der Gold- und Silberminenstädte, allesamt Denkmäler des immer gleichen Kreislaufs aus ursprünglicher Akkumulation und Verfall, die verstrichene und zukünftige Katastrophe des Sozialen aufblitzt.

Alex Capus: „Skidoo. Meine Reise durch die Geisterstädte des Wilden Westens“. Hanser Verlag, München 2012, 80 Seiten, 12 Euro