: Editorial
Ganz normale Helden
Aus dem redaktionellen Nähkästchen geplaudert: Man liest als Literaturredakteur tatsächlich inzwischen viele Bücher auf dem iPad oder einem Reader. Man liest die Romane ja oft schon, bevor die Bücher fertig sind, damit man weiß, was Sache ist, wenn sie erscheinen. Noch vor ein, zwei Jahren ließ man sich dann sogenannte Fahnen schicken, noch nicht gebundene Papierausdrucke. Das war ziemlich unbequem und unübersichtlich. Papierstöße flatterten auf Schreibtischen herum, und Spaß brachte das alles gar nicht. Inzwischen lässt man sich von den Verlagen eine pdf-Datei schicken, lädt sie in den Reader, und das klappt ziemlich gut. Man kann die interessanten Bücher heraussuchen und die vielleicht nicht ganz so interessanten für alle Fälle gespeichert lassen.
Die Sache ist nur: Die wirklich interessanten Bücher – zum Beispiel diejenigen, die Sie in dieser literataz besprochen finden, die will man dann selbstverständlich auch haben. Man will sie sich ins Regal stellen. Man will sie herumzeigen können. Verleihen. Also lässt man sie sich dann auch noch in gebundener Form schicken.
Wahrscheinlich wird sich der Buchmarkt auch in so eine Richtung entwickeln. Reader fürs schnelle Lesen und fürs Ausprobieren. Gebundene Bücher für seine Favoriten und für die großartigen Leseerlebnissse. In diesem Sinne wünschen wir uns und Ihnen, dass Sie viele der hier vorgestellten Bücher dann auch wirklich haben wollen. Sibylle Bergs unerbittlicher Kreuzweg eines hermaphroditischen Helden vielleicht? Oder doch den neuen Roman von Rainald Goetz? Oder Andreas Stichmann, im Moment noch der Geheimtipp unter den jungen deutschen Schriftstellern? Oder Teju Cole, den modernen Großstadtflaneur in Manhattan? Oder Katherine Boos großartige Reportage aus den Slums von Mumbai? Bei allen diesen Büchern würden wir uns jedenfalls nicht mit einer pdf-Datei zufriedengeben.
Was auch bei den politischen Büchern schwerfiele. Oder wo sollen die ganzen Kommentierungen und Ausrufezeichen hin? Die müssen doch ganz schwungvoll mit Bleistift, wenn nicht sogar mit dem Rotstift gekritzelt werden, dann, wenn man ganz erzürnt widersprechen möchte oder sich freudvoll bestätigt versteht. Alles alte Gewohnheiten, die wir verlieren werden? Inhaltlich werden auch die politischen Bücher, die wir in dieser literataz vorstellen, nicht so einfach aus der Welt zu schaffen sein.
Die beiden Bücher von Silvia Federici etwa, einer Theoretikerin, die maßgebend den Aspekt der Reproduktionsarbeit in die feministische Diskussion eingebracht hat. Oder „Pulphead“ von John Jeremiah Sullivan, das bereits in den USA völlig zu Recht Jubelstürme ausgelöst hat. Oder Liao Yiwus „Die Kugel und das Opium“, eine Verneigung vor den Opfern des Tiananmen-Platzes von 1989. Alles wunderbare Bücher, für Sie ausgewählt.
DRK, TAM