: Bundesverfassungsgericht übt Solidarität
Karlsruhe billigt die Umverteilung zwischen den gesetzlichen Krankenkassen. Schlappe für Edmund Stoiber
FREIBURG taz ■ Edmund Stoiber konnte die Solidarität mit dem Osten nicht stoppen. Das Bundesverfassungsgericht hat gestern den Risikostrukturausgleich (RSA) für die gesetzlichen Krankenkassen gesichert. Es lehnte eine Klage der CDU-regierten Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen ab, die die Verwendung von Kassenbeiträgen aus dem reichen Süden für arme Kassen, insbesondere im Osten, stoppen wollte.
Seit Mitte der 90er-Jahre können die Bürger ihre Krankenkasse frei wählen. Weil das Leistungsangebot aber zu 98 Prozent staatlich vorgegeben ist, schauen die Versicherten dabei vor allem auf die Höhe der Mitgliedsbeiträge. Der seit 1994 bestehende RSA soll verhindern, dass einige Kassen niedrige Beiträge haben, weil ihre Mitglieder vor allem gesunde Gutverdiener sind, und andere Kassen hohe Beiträge verlangen müssen, weil sie – wie die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) – überdurchschnittlich viele Familien, Alte und Geringverdiener versichern.
Der inzwischen mehrfach ausgeweitete Strukturausgleich ist eine gewaltige Umverteilungsmaschine. Im Jahr 2002 wurden 14,3 Milliarden Euro zwischen den Krankenkassen verschoben. 1999 entschied Rot-Grün, den bis dahin für Ost- und Westkassen getrennten Risikoausgleich bundesweit zu gestalten. Nach Schätzungen der Bundesregierung werden im laufenden Jahr immerhin 3,4 Milliarden Euro von West- nach Ostdeutschland transferiert.
Die Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, Erwin Teufel und Roland Koch reagierten mit ihrer Klage auf die Ausweitung des RSA – am liebsten aber wollten sie das ganze Ausgleichssystem kippen. Sie sahen keine Notwendigkeit, die Beiträge der Kassen mit schlechter Risikostruktur herunterzusubventionieren. Und wenn man unbedingt Subventionen für die AOK wolle, dann müsse diese eben der Bund bezahlen. Der Bund, so die Ministerpräsidenten weiter, hätte überhaupt kein Gesetz erlassen dürfen, das die Verhältnisse in den einzelnen Bundesländern angleicht.
In seinem Grundsatzurteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts sich nun klar zur Umverteilung bekannt. Wettbewerb zwischen den Kassen sei nur möglich, wenn es einen Ausgleich für die unterschiedliche Mitgliederstruktur gebe. Das Gericht sieht keinen Grund, den sozialen Ausgleich „an den Grenzen der einzelnen Krankenkassen enden zu lassen“, wie es im Urteil heißt. Ein Bundesgesetz sei notwendig gewesen, denn „eine in allen Landesteilen gleich funktionsfähige Sozialversicherung ist auf der Basis unterschiedlicher Landesgesetze praktisch kaum denkbar“.
Schon seit 2001 ist geplant, den Strukturausgleich bis zum Jahr 2007 erneut zu reformieren. Bisher werden die Mitglieder nach abstrakten Kriterien wie Alter, Geschlecht und Rentenbezug bewertet. Künftig soll der Ausgleich „morbiditätsorientiert“ gestaltet werden, das heißt: am tatsächlichen Krankheitsaufkommen. Die Kassen könnten dann sogar ein Interesse haben, krankheitsanfällige Menschen aufzunehmen. Auch hiergegen hat Karlsruhe keine Bedenken. Ob dieser Reformschritt allerdings tatsächlich umgesetzt wird, ist offen. Die FDP will weitere Umverteilung verhindern, die CDU ist gespalten. Und unter der rot-grünen Bundesregierung ist die Reform noch nicht weit gediehen.
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) begrüßte das Karlsruher Urteil. Ohne Risikoausgleich müssten die Kassen im Osten Beiträge von mehr als 20 Prozent verlangen. Jetzt sind es etwa 6 Prozent weniger.
CHRISTIAN RATH