: Vom Bett ins Flugzeug
„So ein Fall sollte sich nicht wiederholen“: Ralf Stegner, SPD-Innenminister in Schleswig-Hostein, übt Kritik an der Abschiebung des Kurden Murat Savas. Die Kreisbehörden sollen zurückgepfiffen werden
von Esther Geißlinger
Wo ist Murat Savas? Im Juli wurde der 32-jährige Kurde abgeschoben – seither versucht seine Familie vergeblich, Kontakt zu ihm herzustellen. Sein Neffe, der in Deutschland lebt, ist besorgt und entsetzt: „Wir wissen von nichts. Und wir bekommen keine Antworten. Das kann so nicht stehen bleiben.“
Der Fall Savas sorgte überregional für Schlagzeilen, weil der Mann nachts aus einem Krankenbett der psychiatrischen Klinik Rickling heraus abgeschoben wurde. „Es wurde spekuliert, ob das ein Anzeichen für einen Richtungswechsel in der Politik des Landes ist“, sagt Innenminister Ralf Stegner (SPD) im taz-Gespräch. Die klare Antwort darauf laute: „Nein. So ein Fall sollte sich nicht wiederholen, und er wird sich nicht wiederholen.“
Das Land ist zwar nicht für die Abschiebungen zuständig, trägt aber als Fachaufsicht der Kreise die Verantwortung, falls rechtlich etwas schief gelaufen sein sollte. Für Stegner war der Fall Savas bedeutsam genug, sich der Sache persönlich anzunehmen: „Ich war ein wenig befremdet, als ich davon erfuhr.“
Im rein rechtlichen Sinn, das steht inzwischen fest, hat der Kreis Segeberg korrekt gehandelt: Savas war zwar krank, aber dennoch „reisefähig“. „Das ist aber nicht die Hauptfrage“, sagt Stegner. Wichtiger sei, wie die Ausländerbehörden ihre Spielräume nutzen, ob zum Guten oder zum Schlechten für die Betroffenen: „Es gibt keine Umstände, unter denen eine Abschiebung schön ist“, weiß der Minister.
Dennoch gelte die Richtlinie des „mildesten Mittels“, fügt Norbert Scharbach hinzu, der für Ausländer- und Migrationsangelegenheiten zuständige Abteilungsleiter im Innenministerium. Manchmal könne „mildestes Mittel“ auch bedeuten, „dass eine Familie nachts geholt wird, damit sie zügig in ihr Flugzeug steigen kann – anstatt dass Frauen und Kinder stundenlang in einem Abschiebeknast in Frankfurt warten müssen.“
Aus dem Fall Savas hat das Innenministerium neue Richtlinien erarbeitet, an die sich die Kreise in Zukunft halten müssen: „Unter bestimmten Umständen wollen wir im Vorwege informiert werden“, sagt Stegner. So müssen die Kreise melden, wenn sie Menschen nachts und vor allem aus ärztlicher Obhut heraus abholen wollen. „Die Kreise werden dann begründen müssen, warum sie diesen Weg für notwendig halten“, erklärt Scharbach.
Und das mag den einen oder anderen übereifrigen Behördenleiter durchaus abschrecken. Schließlich wolle das Ministerium wissen, ob es eine Praxisänderung gibt, sagt Innenminister Stegner. „Das sollte nämlich nicht sein.“ Stegner: „Auf keinen Fall wollen wir subjektiv oder objektiv den Eindruck erzeugen, dass ein robusteres Vorgehen gewollt ist.“
Schleswig-Holstein hat traditionell eine vergleichsweise liberale Haltung in der Ausländerpolitik, und Stegner legt Wert darauf, sich abzugrenzen von „manchen meiner Kollegen, die sehr auf den Stammtisch setzen“. Im Bundesrat hat Schleswig-Holstein in der Vergangenheit mehrere Vorstöße gewagt, um lange in Deutschland lebenden Migranten dauerhaftes Bleiberecht zu gewähren. „Aber da stehen wir allein auf weiter Flur“, bedauert Stegner.
Mal das eine, mal ein anderes Bundesland habe sich im Lauf der Zeit der Forderung angeschlossen, Kettenduldungen in Bleiberecht zu verwandeln – bisher vergebens. „Und momentan scheint es nicht so, als ob es besser werden würde“, sagt Stegner. Er hält es vor allem für falsch, in Deutschland geborene Kinder abzuschieben. Eine Gelegenheit, das zu beweisen, hat er im Fall Savas: Die Frau und die beiden kleinen Kinder des Kurden sind zurzeit auf der Flucht vor der Ausländerbehörde, während der Anwalt der Familie versucht, eine Duldung zu bekommen.
„Die Kinder mussten den Kindergarten verlassen, sie haben alles verloren“, berichtet der Neffe. Würden sie abgeschoben, gingen sie ins Nichts: „Sie haben drüben niemanden mehr.“ Nur den Vater – und der ist verschwunden.