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Archiv-Artikel

SOUNDTRACK

Dass es der Tel Aviver Untergrund in Sachen bärtig-kauziges Hipstertum längst mit der Szene rund um das New Yorker Sidewalk-Café oder Kaliforniens weitläufiger Freakfolklandschaft aufnehmen kann, haben The Raw Men Empire letztes Jahr schon auf dem Reeperbahn-Festival bewiesen. Nicht nur ein Händchen für charmante und hübsch ungewöhnlich arrangierte LoFi-Perlen irgendwo zwischen den Moldy Peaches, Devendra Banhart, Tom Waits’ Rumpelblues und kleinen Progrockausflügen hat das Quartett, sondern vor allem ein feines Gespür für die richtige Mischung aus Ernsthaftigkeit und Augenzwinkern. Da mag sich mitunter ein trauriger Unterton dazwischenschleichen, alles in allem ist das Imperium der rauen Männer ein Reich, in dem das gemeinsame Musizieren ausgelassen gefeiert wird. Nebst Luftballons und fröhlicher Publikumseinbeziehung. Wer mit entzücktem Herz ins Wochenende gehen will, ist heute Abend in der Hasenschaukel jedenfalls am goldrichtigen Ort. Do, 11. 10., Hasenschaukel, Silbersackstraße 17

Wie passend, oder auch: wie aufgesetzt, mag denken, wer am Sonntagabend im Docks Tränen in den Augen der neben sich Tanzenden erblickt, wenn Midge Ure seinen Sythie-Pop-Chartbreaker „Dancing With Tears In My Eyes“ anstimmt. Nicht nur echtes Mitfühlen oder der Wille zur angemessenen Bebilderung des Gesungenen aber mögen deren Grund sein, sondern vielleicht einfach Freude. Darüber, dass der 56-Jährige sich nach über 20 Jahren wieder mit seinen Ultravox-Mitstreitern zusammengetan hat. Vor rund dreißig Jahren war der Schotte bei der stilbildenden britischen New-Romantic-Band eingestiegen und hatte deren kommerziell erfolgreichste Phase mit Hits wie „Vienna“, „Hymn“ und „Dancing With Tears In My Eyes“ eingeleitet. Und nicht nur mit Ultravox hat Ure in den 80ern für eingängig-tanzbare Furore gesorgt. Visage hieß der Versuch mit Rusty Egan, elektronische Popmusik im Fahrwasser von Kraftwerk und David Bowie zu machen, „Fade to Grey“ das weltweit auf Platz eins der Hitparaden gehievte Ergebnis. Und nun gibt es auch wieder ein Ultravox-Album. Erstmals seit 28 Jahren findet sich auf „Brilliant“ neues Material: ein mit allerlei digitalem Spielzeug aufgefrischter „bittersüßer Kommentar zur Popkultur“, der nicht nur nostalgische Fans, eben, Freudentränen in die Augen treiben dürfte. Denn das Ganze klingt tatsächlich überraschend zeitgemäß. So, 14. 10., 20 Uhr, Docks, Spielbudenplatz 19

So wie Bubble-Core-Labelchef und Perkussionist Adam Pierce die Buchstaben seines Namens zur Benennung seines Projekts Mice Parade einfach wild durcheinandergeworfen und anagrammiert hat, geht es auf der Postrock-Baustelle des New Yorkers auch musikalisch zu. Das erinnert mit seinen wuseligen Gitarren mitunter an westafrikanischen Highlife, um sich im nächsten Moment an Shoegaze-Wänden kurz anzulehnen, um umso beherzter in Jazz-Experimenten unterzugehen. Und mit einer Twang-Gitarre wieder aufzuerstehen. Mi, 17. 10., Hafenklang, Große Elbstraße 84

Um große Gesten verlegen ist er nicht, Kristian Mattson aus dem malerischen Leksand im waldreichen schwedischen Dalarna. Nicht nur beim Künstlernamen The Tallest Man on Earth stapelt der 29-Jährige hoch, pardon, am höchsten – dabei zählt er nun wirklich nicht zu den biologisch Langgewachsenen. Auch in seinen Songs lässt er am unerschütterlichen Selbstbewusstsein keinen Zweifel, im dynamischen „King of Spain“ etwa: Wäre er erst König auf der iberischen Halbinsel – jubelnde Señoritas inbegriffen –, die Stiere würde er allein mit Worten provozieren. Geht es um die inbrünstige Sangesleistung der hingebungsvollen One-Man-Show, sind sich ohnehin alle seit dem Debüt „Shallow Grave“ von 2008 einig: Hier hat man es mit dem „skandinavischen Bob Dylan“ zu tun – Mattson selbst kann das selbstverständlich längst nicht mehr hören. Das bisweilen schrummelig-unwirsche Gitarrenspiel und vor allem die Stimme des schmächtigen Schweden, die vom krächzenden Reibeisen bis zur kopfstimmigen Sirene alle Register ziehen kann, lässt aber durchaus Verständnis für die Analogie aufkommen. Am Mittwochabend präsentiert der selbsternannte längste Mann der Welt sein aktuelles Album „There’s No Leaving Now“. Mi, 17. 10., Kampnagel, Jarrestraße 20ROBERT MATTHIES