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Archiv-Artikel

Größte Entlastung für Wohlhabende

Beschäftigte mit kleinen Einkommen und langen Wegen zur Arbeit würden durch die Steuerreform des CDU-Schattenministers Paul Kirchhof benachteiligt. In den oberen Einkommensgruppen gibt es mehr Gewinner als Verlierer. Das zeigen neue Beispiele

VON HANNES KOCH

Gestern Abend im Fernsehduell schlugen sich Bundesfinanzminister Hans Eichel und Herausforderer Paul Kirchhof ihre Steuervorschläge um die Ohren. Da fragt sich alle Welt: Wer profitiert wirklich, wer verliert? Weitere Beispielrechnungen der taz belegen, dass Durchschnittsverdiener mit Kirchhofs Radikalreform teilweise deutlich schlechter gestellt würden. Großverdiener dagegen zahlten unter bestimmten Bedingungen weniger Steuern als heute (siehe Kasten).

Angela Merkel, Kanzlerkandidatin der Union, hat den ehemaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof in ihr Schattenkabinett berufen. Kirchhof propagiert eine Niedrigsteuer, die alle Einkommen gleichmäßig mit 25 Prozent belastet. Heute reicht die progressive Einkommensteuer bis zu 42 Prozent für Spitzenverdiener. Kirchhof will die Reform finanzieren, indem die meisten Steuervergünstigungen wegfallen. Eingeführt werden soll das Ganze frühestens ab 2009.

Im Bereich der unteren und mittleren Einkommen würden diejenigen durch die Kirch- hof-Reform belastet, die heute längere Wege zur Arbeit von ihrer Steuerschuld abziehen können. Auch der von Kirchhof geplante Wegfall der Steuerfreiheit für Feiertags- und Nachtarbeit würde für die Beschäftigten Einbußen bedeuten.

Das Beispiel 3 der Krankenschwester mit einem Bruttoeinkommen von 30.000 Euro belegt die Wirkung des Wegfalls der Pendlerpauschale und der steuerfreien Zuschläge bei Arbeitnehmern. Die Krankenschwester würde dadurch fast 2.000 Euro mehr Steuern pro Jahr zahlen.

Auf diesen Umstand hatten Kirchhofs Kritiker unter anderem aus der SPD, der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung und der Bremer Ökonom Rudolf Hickel hingewiesen. Wie die Beispiele 1 und 2 zeigen, würde es bei Kirchhof freilich auch den gegenteiligen Effekt geben: Beschäftigte mit kleinen Einkommen könnten von der Reform profitieren – unter der Voraussetzung, dass sie heute keine Vergünstigungen wie die Pendlerpauschale für Fahrten zur Arbeit oder steuerfreie Sonntagszuschläge erhalten.

Auch im Bereich der hohen Einkommen hängt die konkrete Auswirkung zum guten Teil von den Annahmen ab, die der Berechnung zugrunde gelegt werden. Wie berichtet (taz vom 25. 8.) würden Einkommen ab 100.000 Euro aufwärts teilweise mit einer höheren Steuer belastet, weil Kirchhof sämtliche Verlust-Abschreibungsmöglichkeiten für Immobilien und Investmentfonds streichen will (Beispiel 4). Allerdings gibt es auch andere Fälle: Je höher der Verdienst ist, desto mehr macht sich der niedrigere Spitzensteuersatz von 25 Prozent bemerkbar. Das führt im Beispiel 5 dazu, dass der ledige Manager mit einem Jahresgehalt von 500.000 Euro rund 60.000 Euro Steuern weniger bezahlen würde als heute.

Ökonom Rudolf Hickel sieht darin eine grundsätzliche Ungerechtigkeit der Kirchhof-Reform. Das Bundesfinanzministerium weist darauf hin, dass Rot-Grün die größten Abschreibungsmöglichkeiten bereits beseitigt habe. Von 42 Prozent Spitzensteuersatz würden 41 Prozent auch tatsächlich bezahlt. Kirchhof würde also die Reichen massiv entlasten, während andererseits kaum neue Belastungen in Form wegfallender Abschreibungsmöglichkeiten hinzukämen.

Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) würden die unteren Einkommensgruppen bis 15.000 Euro Jahresbrutto durch Kirchhof im Durchschnitt schlechter dastehen als heute. Die Entlastungswirkung würde sich erst darüber bemerkbar machen – dann aber mit steigender Tendenz. Während Beschäftigte zwischen 50.000 und 75.000 Brutto ein um 3,4 Prozent höheres Nettoeinkommen zur Verfügung hätten, wären es zwischen 750.000 Euro und 1 Million Euro schon 9,2 Prozent. Viele Leute würden entlastet, aber die hohen Einkommen am meisten. Daraus könnten deutliche Einnahmeausfälle für den Staat resultieren. Das DIW rechnet mit 26 Milliarden weniger im ersten Jahr.