Ausgehen und rumstehen Von Daryna Sterina: Schön sehen die Menschen aus, wenn sie weit weg sitzen
Kann ein Wochenende schlecht werden, wenn es mit Sex beginnt? Am Freitag gehe ich mit Freunden zum Gucken feministischer Pornos in einen Salon in Kreuzberg. Er findet in der Wohnung der Veranstalterin statt, die in ihrem Wohnzimmer eine Sammlung von Vulvabildern an den Wänden hängen hat. Obwohl ich selber eine besitze, frage ich mich, warum es jemand schön finden sollte, seine Wand mit Vulvas zu tapezieren. Vielleicht ein neuer Trend, den Ikea bald aufgreifen wird? Beim ersten Porno treffen sich ganz im Sinne von Cyndi Laupers Song „Girls just wanna have fun“ drei Frauen zum Würfeln von sexuellen Aufforderungen: lecken, beißen, schlagen.
Fahrstuhlmusik als Soundtrack von Sexspielchen löst bei mir und allen Anwesenden statt Ekstase einen Lachanfall aus. Beim nächsten Film „Gender Fuck“ sind ein schwarzer Mann mit blonder Perücke und eine Frau mit aufgeklebten Koteletten und umgeschnalltem Plastikpenis miteinander zu Gange. Das wirkt schon prickelnder, aber auf dem Wohnzimmerteppich unterm Ventilator bleibt es trotzdem viel zu kühl.
Hinterher bekommen wir noch eine Führung durch das Königreich der Dildos. In einer Vitrine stehen die nach oben aufgerichteten Luststäbe in verschiedenen bunten Farben und Formen. Selbst Buddha grinst einem als Sexspielzeug entgegen. Wir haben wenig Lust auf Dildos und mehr auf ein Radler im Viktoriapark. Richtung Bergmannkiez steigt uns Bratwurstduft vom Bergmannstraßenfest in die Nase. Das bedeutet, wir müssen uns mit Ellenbogen, Händen, Knien und Berliner Schnauze durch die Massen drängeln. Endlich ein Späti.
Zwei Radler und eine Packung Gize-Blättchen später sitzen wir auf dem Kreuzberg. Schön sehen Menschen aus, wenn sie weit weg und vor einem sonnendurchfluteten Himmel sitzen. So kann ein Abend ausklingen.
Nächster Tag. Nach einem weniger aufregenden Arbeitstag, an dem ich mir in einem Klamottenladen die Füße plattgestanden habe, kann der Samstag um 18 Uhr mit vegetarischer Bolognese und einer Flasche Wein am Küchentisch beginnen. Wunderbar. Gefühlt eine Tonne Nudeln später bin ich satt und schlürfe einen Espresso beim Wimpernschminken. Nach 20-minütiger Spiegelsession ist meine Mitbewohnerin auch bereit. Kleine Täschchen, Drehzeug rein und Tür abschließen.
U-Bahn verpasst. Um das sechsminütige Schwitzen auf dem Bahnsteig am U-Bahnhof Karl-Marx-Straße kommen wir nicht herum, dabei ist es draußen gar nicht heiß. Oben am U-Bahn-Ausgang erwischen wir den Bus zum Moscow Mule ins Pavlovs. Lecker, aber leider saugen die Nudeln in meinem Bauch den Alkohol auf. Ohne Schwips humpeln wir Richtung Bus, um auf die Gayhane-Party im SO36 zu gehen. Bus verpasst. 19 Minuten warten oder lieber laufen? Es geht bergab, also laufen. Wir landen am Mehringdamm. U-Bahn hat Verspätung. Hermannplatz. Wieder warten, diesmal allerdings nur sieben Minuten. Genug Zeit, um nach einem Blasenpflaster im Portemonnaie zu suchen. Endlich am Kotti. Unterwegs genehmigen wir uns zwei Sterni. Ganz nüchtern wollen wir dann doch nicht bleiben.
An der Garderobe im SO36 versprüht der Typ, der vor uns wartet, eine Runde Deo und Parfüm. Wir riechen wie er und tauchen ein in die süßliche Parfümwolke auf der Tanzfläche. Hüftenschwingend tanzen wir zu arabischen Klängen. Dann, an den kleinen Fingern haltend, stehen wir mit anderen Tänzern im Kreis und tippen die Beine nach vorne und hinten. Nach so viel Spaß kommt der Rausschmeißer-Elektro nicht unerwartet. Halb fünf, es wird hell. Wir schleppen die müden Körper zur U-Bahn. Acht Minuten warten. Richtung: Bett.
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