piwik no script img

berliner szenenAlle Kinder weinen in Kreuzberg

Das kleine Mädchen auf der Reichenberger Straße mit ­Deutschlandfarben auf den Wangen lacht und ist fröhlich und freut sich, dass ich mich über sie freue. Ich fahre zum Club49, wo ich schon viele Spiele gesehen habe. Die Leute sitzen und stehen vor dem Club und schauen gebannt dem Spiel zu. Kai, der Exchef, ist auch endlich wieder dabei. Er entschuldigt sich damit, dass er nicht gekonnt habe. Aber eigentlich ist es fahrlässig, dass er erst bei diesem Spiel wieder im Club ist; es ist fahrlässig, dass ich erst zur zweiten Halbzeit gekommen war. Alles ist auch ein bisschen deprimierend, wenn auch ehrenvoll, weil Korea keine Chance mehr hatte, weiterzukommen.

Jemand stellt mir ein Bier hin, eine der Freundinnen holt Pizza von Wow’s. Ich habe vergessen, zu Alberto ins Wow zu gehen. Jede WM und EM seit 2010 war ich mindestens auf ein Bier bei Alberto gewesen. Dass ich mich diesmal dort nicht gemeldet hatte, wird zum Ausscheiden der Unsrigen beigetragen haben. Auch T. findet, dass unser fehlender Enthusiasmus zum Aus beigetragen hat. So im Sinne des Flügelschlags eines Schmetterlings, der die Welt zum Einsturz bringt.

Ich trinke vier Halbe, ohne mich richtig betrunken zu fühlen. Wir gucken das Serbien-Spiel, ohne richtig hinzugucken. Alle Kinder weinen nun in Kreuzberg. Zu Hause trinke ich noch ein Bier und beschließe, die japanische Mannschaft zu unterstützen. Der nächste Tag ist furchtbar. Japan spielt schlecht. Kolumbien schießt im Parallelspiel das 1:0 gegen Senegal. Sieben Minuten sind noch zu spielen. Japan ist weiter, wegen der Fairplaywertung. Die Japaner schieben sich den Ball zu.

Eine Minute vor Schluss legt sich ein polnischer Spieler auf den Rasen und will schlafen. Der Schiedsrichter ermahnt die Spieler. Dann ist es zu Ende. Detlef Kuhlbrodt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen