Ritter, nicht Rocker

PARALLELWELT Als junger Mensch war Michael Marek ein gewalttätiger Rocker in Kreuzberg, mehrere Jahre saß er im Knast. Heute leitet er als christlicher „Erster Ritter“ eine Mittelaltergruppe südlich von Berlin. Wie kam es zu dem Gesinnungswandel? Eine Spurensuche

Egal was er macht, er macht es 150-prozentig, sagt ein alter Rockerkumpel über Michael Marek

VON ULRIKE HEITMÜLLER

Michael Marek hat in seiner Wohnung einen kleinen Altar aufgebaut. Gegenüber in der Ecke lehnen Pfeil und Bogen, an der Wand hängt ein Schwert. Die Fenster sind zugeklebt mit Bildern von Jesus, Engeln und Einhörnern. Einige Kerzen brennen. Marek ist Chef einer Mittelaltergruppe namens „Die Grals-Familie“. Er nennt sich „Ritter Michael der Löwe“.

Früher war er ein Rocker, jeder nannte ihn „Wanze“. Schon damals trug er lange Haare. Doch die Motorradjacke hat er inzwischen durch einen Lederkittel mit einem Kreuz ersetzt. Er ist 58, etwas hager und hält sich am Sandsack fit.

In Dahlewitz, einem Brandenburger Dorf wenige Kilometer südlich von Berlin, hat die von Marek vor zehn Jahren gegründete Gralsfamilie ihren Sitz. Er ist „Erster Ritter“ der etwa zwei Dutzend Mitglieder. Sie bringen viel Zeit für ihren Verein auf, treffen sich jeden Monat zur Vereinsversammlung, dazu kommen „Arbeitseinsätze“: Direkt gegenüber der alten Dorfkirche haben sie vier Hektar Land gepachtet, 100 Kubikmeter Müll fortgeräumt, einen Brunnen geschlagen und Unterstände für ihre Pferde gebaut.

Zurück zur Natur

Jetzt sieht man eine freie Fläche bis zum Wald, ein Spazierweg führt am Unterstand vorbei. Geht Michael Marek hier entlang, trabt meist ein Hund hinter ihm her und die Pferde trotten zum Zaun, um ein bischen trocken Brot zu bekommen. Sie mögen ihn und schnauben freundlich. Die Ritter haben Holz gehackt und an einer Wand aufgestapelt. „Man kommt zurück zur Natur, wenn man Holz trocken halten muss“, sagt Marek, „die Zeit läuft ruhiger.“

Mit seinen Rittern geht er auf Reisen und besucht andere Mittelaltergruppen, sie empfangen ihrerseits Besucher, treiben Schwertkampf. Viele reiten. Alle paar Monate bauen sie ihre Zelte auf und veranstalten ein Mittelalterlager. Möglichst authentisch: Kartoffeln aß man damals noch nicht, also dünsten sie Zwiebeln. Sie tragen mittelalterlich anmutende Gewänder, die gibt es sogar in Berlin zu kaufen.

Ritterorden wurden im 12. Jahrhundert als religiöse Orden gegründet. Dieser Aspekt, der christliche Glaube, ist Marek wichtig. Er geht auf Pilgerreisen und Bußgänge, hält Nachtwachen in der Kirche, meditiert und betet. Michael Marek lebt von Hartz IV. Weil die Lungen und Bandscheiben nicht mehr so gut sind, kann er nicht mehr in seinem erlernten Beruf als Autolackierer arbeiten.

Schon bevor er Ritter wurde, hatte Marek bei der evangelischen Landeskirche einen Kurs zum Lektor absolviert, das ist ein ehrenamtlicher Mitarbeiter für die Gottesdienste. Allerdings war er gar nicht Mitglied der Kirche. Das wusste niemand, so hielt er jedes Jahr im Sommer einen Gottesdienst. An diesen Sonntagen – und nur an diesen – war die alte Dorfkirche bis auf den letzten Platz gefüllt, mit Dorfbewohnern, Rittern – und Rockern.

Marek kommt aus einer kaputten Familie. Er wurde in Kreuzberg groß, fand dort Freunde mit einem ähnlichen Hintergrund. Als sie 14 oder 15 waren, nannten sie sich „Kettenhunde“ und ließen sich Hundeköpfe auf den Rücken tätowieren. „Wir wollten saufen, vögeln, in die Fresse hauen und Karre fahren, auf Deutsch gesagt“, sagt er. Damals, 1976, entstand die Filmdokumentation „Angst haben und Angst machen“, in der auch er zu sehen ist. Die Kneipe „Stiege“ in der Oranienstraße haben sie mindestens zwei- oder dreimal zertrümmert.

Als Marek ungefähr 18 war – ganz genau weiß er das nicht mehr –, fuhr er betrunken und ohne Führerschein mit dem Motorrad eine alte Frau tot und musste für vier Jahre ins Gefängnis. Anschließend wurde er mit anderen „Kettenhunden“ Mitglied beim Rockerclub „Phönix MC“. Irgendwann in den 80er Jahren flog ein gutes Dutzend Clubmitglieder in die USA, um bei den Hells Angels Aufnahme zu finden. Marek auch. Ihr Wunsch wurde gewährt, aber Marek stieg aus. Warum? „Innere Stimme“, grummelt er. Es ist eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen er wenig redet, sehr wenig.

Zusammen mit einem Partner pachtete er eine Diskothek, feierte, nahm harte Drogen. Jahre vorher, bei einem seiner Gefängnisaufenthalte, habe er einmal eine Erscheinung gehabt und Jesus gesehen, berichtet er. In der Drogenphase sei das ein zweites Mal geschehen: Auf der einen Seite Jesus, auf der anderen Seite der Teufel und dazwischen eine Sanduhr – die Zeit lief ab, er musste sich entscheiden. Er beschloss, Jesus nachzufolgen.

Da war er Mitte 30. Er hielt sich fern von manchen alten Freunden, von Drogen. Hielt durch. Aber ihm fehlte etwas: Seine Mutter hatte ihm nach dem Bau der Mauer bei Verwandten im Westen gelassen, seinen Vater kennt er nicht: „Deswegen, glaube ich, habe ich diesen starken Bezug, Gruppierungen aufzubauen, irgendwie Familie, das, was ich eben nicht hatte“, sagt er.

Nach ein paar Jahren besuchte er ein Mittelalterfest. Dort gefiel es ihm, und ein Ritter imponierte ihm besonders. „Ritter“ ist kein geschützter Begriff, jeder kann sich so nennen. Aber in der Mittelalterszene wird man erst nach einer mehrjährigen Knappschaft Ritter. Marek lernte als Knappe bei diesem und anderen Rittern, was ein moderner Ritter können muss: Theorie und Praxis, Geschichte und Kleidung, Pferdepflege, auch Schwertkampf – dabei verlor er 14 Zähne. Sie schlug ihm einer seiner Lehrherren versehentlich beim Training aus. Er begann, Turniere zu reiten. Nach zehn Jahren wurde er zum Ritter geschlagen.

Rocker und Ritter sind beides Gruppen mit stark ausgeprägten Hierarchien: Man fängt klein an, dient sich als Hangaround und Prospect oder als Page und Knappe hoch und kann dann Rocker oder Ritter werden. Rocker halten ihre Aufnahmeriten geheim, aber eine dreckige Kutten-„Taufe“ (ausgerechnet!) gehört meist dazu; Pagen werden zum Knappen „freigetreten“, Knappen zum Ritter „geschlagen“.

Egal, was er macht, er macht es 150-prozentig, sagt ein alter Rockerkumpel über ihn. Und wie alle Menschen, die etwas Ungewöhnliches sehr wichtig nehmen und dies offen zeigen, bewegt sich auch Michael Marek auf dem schmalen Grat zwischen Ernsthaftigkeit und Lächerlichkeit. Er kleidet sich wie im Mittelalter, trägt Wildlederstiefel, einen Gürtel mit Löwenschnalle – sein früheres Wappentier – Hüfttasche und einen Lederkittel mit einem eingeprägten Kreuz.

Früher hat er randaliert. Nun predigt er und will die Welt verbessern. Fragt man ihn, wie viele seiner alten Rockerbrüder ihn wohl für einen Spinner halten, dann sagt er „Na, alle natürlich!“, grinst und zuckt die Schultern: Das ist ihm egal.

„Micha weiß, dass er ein sehr anstrengender Mensch ist“, sagt seine Freundin Birgit Wilkens, in der Gralsfamilie „Rosario delos Vientos“. „Er ist Idealist, gesellschaftskritisch, stellt Autoritäten in Frage. Vom Zen-Buddhisten bis zum ausgeflippten Rocker hat er das ganze Spektrum drauf. Das ist faszinierend“, sagt die frühere Projektcontrollerin.

Mit Klischees aufräumen

Und Marek sorgt dafür, dass das jeder mitbekommt. Er ist sehr dominant, findet Volker Manz. Der arbeitet im bürgerlichen Leben in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Als Mitglied der Gralsfamilie heißt er „Magister Volker“ und reitet auf einem freundlichen struppigen Pferd durch den Regen. Manz steht dem aktuellen Mittelalter-Hype – etwa mit Filmen wie dem Sat.1-Schinken „Wanderhure“ – kritisch gegenüber und versucht, den Klischees mit sachlichen Informationen entgegenzuwirken. Dazu besuchen Marek und Manz gemeinsam Gemeinden, Kindergärten und Schulen. Marek zeigt den Kindern, wie man damals mit dem Schwert kämpfte; Manz erklärt, wie die Menschen lebten.

Manches hätte Michael Marek gern so wie früher. So hat er zwar eine „Familie“ statt eines Ordens gegründet, weil eben auch Frauen dabei sein sollen. Und seine frühere Freundin ritt Ritterturniere. Aber dennoch: Der Mann solle sagen, wo es lang geht, und die Frau sagt dann „ja“ oder „nein“. „Sie soll sich schon entfalten, aber keine Emanze sein“, findet Michael Marek. Der Mann solle auch die Frau schützen – und wenn er das nicht könne, sei es nur recht, wenn sie sich einen Anderen suche. „Ritter Michael lebt das mittelalterliche Minnebild“, nennt das Volker Manz.

Ins Dorf integriert

Immerhin: Die Mittelalter-Familie fügt sich gut ins Dorfleben ein. „Die Gralsfamilie hat sich gut rausgemacht, die haben das Dach der Kirche isoliert und haben auch bei den Dahlewitzern einen guten Stand“, lobt der frühere Dahlewitzer Pfarrer Gunther Seidel. Er „segnete“ Marek auch zum „geistlichen Ritter“. Für diese Zeremonie schloss er Marek am frühen Abend in der Kirche ein und ließ ihn am nächsten Morgen wieder raus. „Die Gralsfamilie kam mit malerischen Gewändern aus dem Nebel heraus“, erinnert er sich. Sie zogen Marek sein altes Gewand aus und ein neues weißes Gewand an. Seidel hielt eine Andacht: „So weit ich konnte, habe ich das begleitet. Ich wollte es in meinen Händen lassen, damit es ein bisschen geordnet bleibt“, sagt Seidel. Er klingt ambivalent, aber: „Als Christen in der Kirche müssen wir damit rechnen, dass der Geist weht, wo er will. Nicht immer, wie man es erwartet.“

Sechs Jungen waren von den Kettenhunden zum Phönix MC übergetreten, gut doppelt so viele Männer mit dem Phönix MC zu den Hells Angels geflogen, die Gralsfamilie hat ungefähr 20 Mitglieder. Geht man nach den nackten Zahlen, ist Exrocker Michael Marek ein erfolgreicher Ritter der christlichen Sozialarbeit. Passt, so Manz: „Früher waren Ritter oft freischaffende Geistliche.“ – Oder Kreuzritter.