Ohne Gegenöffentlichkeit

Die Auslandsberichte von alternativen Medien unterscheiden sich kaum vom Mainstream – auch wenn sie das gerne behaupten

Rassismus in den Medien – das ist inzwischen ein weitgehend analysiertes Feld. Die theoretischen Erkenntnisse haben allerdings kaum Veränderungen der journalistischen Praxis bewirkt. Wie sieht es hier mit den Alternativmedien aus? Das wird in der Regel ausgeblendet, wohl aufgrund der impliziten Annahme, diese würden entsprechend ihrer Selbstdefinition als antirassistisch eine entsprechende Medienpolitik verfolgen.

Der von Jörg Becker, Christian Flatz, Emanuel Matondo und Uwe Trittmann herausgegebene Band „Für eine Kultur der Differenzen. Friedens- und Dritte-Welt-Zeitschriften auf dem Prüfstand“ betritt akademisch also Neuland in Sachen Alternativmedien. Zudem ist er ein Experiment, da hier nicht nur eine Studie dokumentiert wird, sondern auch die Kommentare der untersuchten Zeitschriftenmacher, geladener Medienexperten und schließlich die Ergebnisse eines Roundtablegesprächs mit allen Beteiligten.

Kern der Publikation ist die Studie „Das Bild des Auslandes und des Fremden in der Alternativpresse“. In ihr werden sechs Zeitschriften aus der Dritte-Welt- und der Friedensbewegung auf ihre Darstellung des „Fremden“, der Dritten Welt und globaler Zusammenhänge hin überprüft: iz3w, epd-Entwicklungspolitik, Inkota-Brief, Zivil, Friedens-Forum und Et cetera. Die Untersuchung folgt einer quantitativen Methodik und versteht sich in der Tradition einer empirischen Ideologiekritik. Im Ergebnis zeigt sich unter anderem, dass die wahrgenommene Ländervielfalt sehr groß ist, eine Weltsicht aus Perspektive der Eliteländer allerdings nicht verlassen wird.

So genannte Underdog-Länder werden kaum wahrgenommen, Minderheiten spielen eine untergeordnete Rolle. Insbesondere die vom Kalten Krieg geprägten Zeitschriften aus dem Kontext der Friedensbewegung haben Schwierigkeiten, heutige Formen der Globalisierung zu thematisieren – im Gegensatz zu den Zeitschriften aus der Dritte-Welt-Bewegung, denen eine globale Sichtweise schon seit je am Herzen liegt.

Das „Bild des Fremden“ zeigt sich durchaus vielfältig, die verwendeten Klischees – Dritte-Welt-Länder als „Underdog und passive Opfer der Weltgeschichte – sind jedoch oftmals dieselben wie in kommerziellen Mainstream-Medien. Das Fazit fällt somit wenig freundlich aus: Die Alternativzeitschriften seien bei weitem nicht so alternativ, wie ihre Macher glauben und anderen glauben machen wollen. Und ihr Auslandsbild und das Bild des Fremden sind dem der Mainstream-Medien strukturell eher ähnlich.

Entsprechend heftig ist die Kritik der Studie seitens der Redaktionen der analysierten Zeitschriften: Das Untersuchungssample (Jahrgänge 1998 bis 2001) sei zu klein, der quantitative Ansatz folge lediglich rein formalen Kriterien, die eigentlichen Inhalte der untersuchten Artikel blieben somit außen vor und die oftmals prekären Produktionsbedingungen würden nicht berücksichtigt. Dritte-Welt-Zeitschriften spiegelten „die Länderpräferenzen von Universitäten, Stiftungen usw.“ wider, da ihre ehrenamtlich arbeitenden Autoren oft aus dem akademischen Bereich stammen und für ihre Artikel für die Alternativpresse oft akademische Arbeiten verwerten.

Umstritten ist ebenso die Kategorie „Alternativmedien“ an sich, die auf dem aus den 1970er-Jahren stammenden Modell der Gegenöffentlichkeit aufbaut, das viele Redaktionen für sich heute nicht mehr in Anspruch nehmen – so die Selbsteinschätzung einiger Praktiker. Schärfer hingegen äußern sich die bestellten Medienexperten: Das Modell Gegenöffentlichkeit sei generell überholt und eine unterschiedliche Herangehensweise von „Mainstream“- und „Alternativ“-Medien bei Rassismus oder Globalisierung gar nicht mehr möglich.

Umso erstaunlicher, dass Kritiker und Kritisierte schließlich Gemeinsamkeiten formulieren: Sie wollen die materielle Ausstattung der Alternativmedien verbessern, klagen die Informationspflicht der öffentlich-rechtlichen Medien ein, wollen Medienprojekte in der Dritten Welt und verstärkte Zusammenarbeit mit existierenden Medien der Peripherie erreichen – um nur einige Ideen zu nennen.

Trotz dieser berechtigten Forderungen bleibt die Frage, ob damit der Krise der Alternativmedien beizukommen ist. Was in der Studie zu kurz kommt, ist die Rolle der Gegenöffentlichkeit angesichts des Bedeutungsverlustes der sozialen Bewegungen. In den 1970er- und 1980er-Jahren waren Alternativmedien Ausdruck eines praktischen Bedürfnisses: Lebensrealitäten, die in den Mainstream-Medien nicht vorkamen, und gesellschaftlich relevante soziale Bewegungen darzustellen. Die Zeitschriften wurden mangels formaler Strukturen oft sogar zu organisatorischen Fixpunkten der Bewegungen. Heute dagegen stehen die Redaktionen oft auf allein auf weiter Flur da. GOTTFRIED OY

Jörg Becker u. a. (Hg.): „Für eine Kultur der Differenzen. Friedens- und Dritte-Welt-Zeitschriften auf dem Prüfstand“. Institut für Kirche und Gesellschaft, Iserlohn 2004, 158 Seiten, 9,50 Euro