: Eisensteins Ruhe
Die Pet Shop Boys präsentieren im Stadtpark neue Musik zum Stummfilmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“
„Eisenstein wird sich im Grabe umdrehen“, juxte Chris Lowe kürzlich in einem Interview. In Wirklichkeit muss sich niemand um den Leichnam des russischen Regisseurs sorgen: Noch zu Lebzeiten äußerte er den Wunsch, dass jede Generation ihre eigene Musik zu seinem Film komponieren möge.
Und da er Avantgardist war, dürfte es Eisensteins Ruhe kaum stören, wenn der Panzerkreuzer Potemkin jetzt im Hamburger Stadtpark zum sequenzergestützten Bombast-Kitsch der Pet Shop Boys in See sticht, nachdem er jahrzehntelang durch die klassische Musik Edmund Meisels und Dimitri Schostakowitsch‘ begleitet wurde. Etwas befremdlich ist aber, dass hier ein Prachtstück sozialistischer Propaganda ausgerechnet in die Hände britischer „Pop-Aristokraten“ geraten ist, die nun mit den Streichern der Dresdner Sinfoniker das europäische Festland bereisen.
2005 ist das Jahr des Panzerkreuzer Potemkin. Der Film feiert sein 80. Jubiläum. Er spielt im Jahr 1905: Weil die Matrosen eines Kriegsschiffes für bessere Verpflegung aufbegehren, ordnen die Offiziere deren Erschießung an. Es kommt zur Meuterei, ihr Anführer wird zum Märtyrer. Im Hafen von Odessa solidarisiert sich die Bevölkerung mit den Aufständlern, woraufhin die zaristische Armee ein Massaker anzettelt. Dann schlägt der „Panzerkreuzer“ mit Macht zurück, und am Ende verbrüdert sich die gesamte Schwarzmeerflotte. So oder ähnlich hat es sich zugetragen; die historische Korrektheit des Films ist umstritten.
1958 wurde der Panzerkreuzer zum besten Film aller Zeiten gekürt. Eine Originalversion existierte da schon nicht mehr. Denn kurz nach seiner Fertigstellung war der Film in die Mühlen der internationalen Zensur geraten. In der stalinistischen UdSSR ersetzte man das einleitende Motto des in Ungnade gefallenen Trotzki durch ein Lenin-Zitat. Die Sittenwächter der Weimarer Republik wiederum fürchteten das aufrührerische Potenzial des Films. Es gab unzählige Schnittauflagen, Einstellungsfolgen wurden geändert, Texte gekürzt. Erst seit wenigen Monaten liegt eine im Sinne Eisensteins rekonstruierte Fassung vor. Die wird aber vorerst unter Verschluss gehalten.
Dass die Pet Shop Boys nicht mit dieser Version auf Tour gehen, hat einen weiteren Grund: Deren Vorbereitungen starteten, als die Rekonstrukteure der „Berliner Fassung“ noch am Puzzeln waren. Und weil die Musik auf Schnitt komponiert wurde, hätte eine nachträgliche Anpassung an die neue Fassung viel zusätzliche Arbeit bedeutet. Die Chance, hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, also den „Director‘s Cut“ mit neuer Musik aufzuführen, wurde so leider vertan. Michele Avantario
Pet Shop Boys & Dresdner Sinfoniker: „Panzerkreuzer Potemkin“: Mo, 5. 9., 20 Uhr, Stadtpark