Aus 520 Deutschen werden Türken

Insgesamt ist die Lage unübersichtlich: Mancher bereut den unerlaubten Doppelpass bitter – und manche schimpft aufs türkische Konsulat wegen der „Animation zur Doppelbürgerschaft“. Schon ist auch vom ersten Staatenlosen die Rede

bremen taz ■ „Ehrlichkeit lohnt sich nicht.“ Davon ist die ehemalige Deutsche Bahar C. überzeugt. Seit die 36-Jährige sich im März freiwillig beim Bremer Stadtamt als deutsche Staatsbürgerin mit zusätzlichem türkischem Pass outete, in der Hoffnung, die Sache so ohne Nachteile ins Reine zu bringen, ist sie wieder Türkin. Nun hat die Frau, die seit ihrem vierten Lebensjahr in Bremen lebt, nur noch eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis – die sie zweimal verlängern muss, ehe sie wieder Deutsche werden kann. So ähnlich geht es in Bremen 425 und in Bremerhaven 96 Erwachsenen. „Kinder sind davon nicht betroffen. Die können die von den Eltern beantragte deutsche Staatsbürgerschaft behalten“, erklärt der Sprecher des Innenressorts, Markus Beyer.

„Manche Betroffene sind jetzt sauer auf Deutschland“, berichtet Derya Mutlu, Migrationsberater bei der Bremer AWO. Doch sei das die Minderheit der rund 200 Doppel-Bürger, die er beriet, seit im Zuge der ersten Landtagswahlen im Frühjahr die Wahlregister den geänderten Gesetzen angepasst werden. Danach verliert jeder, der nach dem 1. Januar 2000 unerlaubt eine weitere Staatsbürgerschaft annahm, automatisch die deutsche. Nach türkischen Angaben betrifft das bundesweit 50.000 Deutsch-Türken. „Viele fühlen sich jetzt von der Türkei verraten“, berichtet Mutlu. Manche, weil die Türkei ihre Doppelbürger in Deutschland nicht schütze. Andere fühlten sich einfach schlecht beraten.

Zu dieser Gruppe gehört Bahar C. „Das Konsulat in Hannover hat mir die türkische Staatsbürgerschaft angeboten, als wäre das ganz normal“, sagt die Frau, deren Eltern den türkischen Pass nie hergeben würden. „Die wollen in der Heimat begraben werden.“ Dennoch war es eher ein Zufall, dass Bahar C. den türkischen Pass trotz deutscher Staatsbürgerschaft beantragte – nach dem Motto: Eins bezahlen, zwei mitnehmen. „Es war so einfach. Und Konsulat, das ist doch ein großes Wort“, sagt die Ausgebürgerte, die derzeit ihren Realschulabschluss nachholt – und deren Schwester das konsularische Angebot eines Doppelpasses ablehnte, schon weil sie die Fahrerei nach Hannover hasste. Viele sprechen unterdessen von „offizieller Animation zur Doppelstaatsbürgerschaft“.

Rund 14 Prozent der 3.853 landesweit angeschrieben türkischen Neubürger nach 2000 haben sich inzwischen zwangsweise als Doppelbürger geoutet. Zu einem zweiten Schreiben der Innenbehörde schweigen bislang nur noch 13 Prozent. Ömer K. beispielsweise. „Aus Protest sage ich denen nicht, dass ich nur den deutschen Pass habe“, verwahrt er sich witzelnd gegen die Unterstellung, betrogen zu haben. Bahar C. wünschte, so klar hätte sie auch gedacht. Doch als sie bei der Annahme ihres deutschen Dokuments den Fehler begriff und den türkischen Pass doch loswerden wollte, „da sagte man mir beim Konsulat, das geht jetzt nicht mehr.“

Vielleicht hatte sie dennoch Glück. Denn wenigstens hat sie eine Nationalität. Schon ist der erste Fall eines ungewollt Staatenlosen bekannt: Wie viele andere durchlief er das reguläre türkische Aus- und das deutsche Einbürgerungsverfahren. Und wie fast jeder Fünfzehnte wollte auch dieser Geschäftsmann das türkische Dokument zurück haben. Erst als ihm die Gesetzesänderung und damit die drohende Ausbürgerung klar wurde, gab er den türkischen Pass zurück. Zu spät – denn das Ausbürgerungsverfahren läuft automatisch gegen jeden nicht genehmigten Doppelstaatsbürger. „Übrigens auch gegen jeden Urdeutschen, der heimlich die japanische oder kroatische Nationalität hat“, erklärt Mutlu.

Er sorgt sich nun um Einzelfälle – wie den nachgezogenen türkischen Ehemann einer Deutschen, aus der jetzt wieder eine Türkin wurde. So lange gibt er den Rat: „Die Rechtsprechung abwarten.“ Eva Rhode