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Archiv-Artikel

Ein blutiger Willkommensgruß

TERROR Es war der schwerste Anschlag der letzten zwei Jahre, unter den Opfern sind viele Frauen und Kinder. Die Bluttat überschattet die Pakistan-Visite von US-Außenministerin Clinton. Auch in Kabul gab es wieder Tote

Im Nordwesten von Pakistan wird auch die Führung von al-Qaida vermutet

AUS DELHI SASCHA ZASTIRAL

Apokalyptische Szene spielen sich am Mittwochmorgen in Peschawar im Nordwesten Pakistans ab: Ein gewaltiger Sprengsatz explodiert auf einem großen Markt im Stadtteil Peepal Mandi in der Altstadt. Die engen Gassen waren, wie an jedem Morgen, mit Menschen überfüllt. Mindestens ein Dutzend Geschäfte liegen in Schutt und Asche. Häuser stehen in Flammen, Menschen ziehen blutüberströmte Verletzte aus den Trümmern. Verzweifelte suchen nach ihren Angehörigen. Mehr als 90 Menschen sind tot, die meisten von ihnen Frauen. Mehr als 150 wurden durch die Explosion verletzt, die von einer Autobombe verursacht wurde.

Es war der schwerste Anschlag in Pakistan seit zwei Jahren. Wegen der Lage von Peschawar – es befindet sich in der Nähe der umkämpften Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan – ist es hier in diesem Jahr bereits zu mehrere schweren Selbstmord- und Bombenanschlägen der „Tehrik-i-Taliban Pakistan“, der Taliban-Bewegung in Pakistan (TTP), gekommen. Allein in diesem Monat wurde Peschawar bereits fünfmal attackiert. Doch dieser Anschlag hatte vermutlich eine ganz spezielle Adressatin: Denn er hat sich nur wenige Stunden nach der Ankunft von US-Außenministerin Hillary Clinton in Pakistan ereignet.

„Pakistan befindet sich inmitten eines fortgesetzten Kampfes gegen hartnäckige und brutale Extremistengruppen, die unschuldige Menschen töten und Gemeinschaften terrorisieren“, sagte Clinton in Islamabad. Washington stehe „Schulter an Schulter mit dem pakistanischen Volk“ in seinem „Kampf für Frieden und Sicherheit“.

Die US-Außenministerin soll unter massiven Sicherheitsvorkehrungen Moscheen und Sufi-Schreine besuchen sowie mit Studenten und paschtunischen Stammesältesten zusammentreffen. Zudem soll sie pakistanischen Journalisten so viele Interviews geben wie noch kein hochrangiger US-Politiker zuvor. Clintons Besuch – es ist bereits ihre fünfte Reise nach Pakistan – ist eine groß angelegte vertrauensbildende Maßnahme.

Denn zum allerersten Mal ist das Ziel Washingtons zum Greifen nah: Die Niederschlagung des Taliban-Aufstandes im Nordwesten des Landes. Nach mehreren schweren Anschlägen ist die Armee vor anderthalb Wochen nach Südwasiristan einmarschiert, in das Machtzentrum der Pakistanischen Taliban, und geht zum ersten Mal in einer breit angelegten Offensive gegen die Militanten vor.

Genau das verlangen die USA von Pakistan bereits seit Jahren: Islamabad soll die Stammesgebiete im Nordwesten des Landes befrieden. Die Region ist zwar bereits seit der Staatsgründung im Jahr 1947 faktisch autonom, aber seit 2002 immer mehr in die Hände militanter Islamistengruppen gefallen. In der Region wird die Führung von al-Qaida vermutet. Militante Gruppen, die in Afghanistan gegen US-geführte Truppen kämpfen, nutzen die Stammesgebiete als Rückzugsraum. Bis auf Angriffe mit unbemannten Drohnen, die Islamabad und die pakistanische Armeeführung dulden, können die USA diesen Gruppen bislang nur wenig entgegensetzen.

Zwar hatte Pakistans Militärdiktator Pervez Musharraf, der vor rund einem Jahr nach fortgesetzten Protesten das Amt niederlegen musste, gegenüber Washington stets beteuert, sein Land unternehme alles, um die Militanz im Nordwesten des Landes zu zerschlagen. Doch er log: Die Armee hatte kein Interesse daran, ihre Streitkräfte in verlustreiche Kämpfe gegen islamistische Milizen zu führen, die vor allem für die USA ein Problem waren, aber nicht für Pakistan. So unternahmen pakistanische Paramilitäreinheiten zwar einzelne Operationen gegen Islamistenmilizen. Doch der Großteil der mehr als zehn Milliarden US-Dollar, den Washington Islamabad seit dem 11. September 2001 an Hilfen im Kampf gegen die Militanten und an ziviler Unterstützung hat zukommen lassen, versickerte in dem korrupten Staat oder fand sich an Pakistans Grenze mit Indien wieder.

Genau deswegen dürfte Clinton während ihres Besuchs noch einige Wogen zu glätten haben. Denn vor knapp zwei Wochen hat ein US-Gesetz zu Washingtoner Hilfen an Pakistan offenbart, wie sehr sich Pakistans Armee nach wie vor in die Politik einmischt.

Das Gesetz sieht vor, dass die Regierung 1,5 Milliarden Dollar Hilfe für zivile Projekte erhalten soll, während die Armee wie bisher eine Milliarde Dollar pro Jahr erhält. Doch anders als zuvor ist eine Fortsetzung der Zahlung an strenge Bedingungen geknüpft: Pakistan muss demokratisch bleiben – mehr als die Hälfte der Zeit seit der Staatsgründung haben Militärdespoten regiert. Die zivile Regierung soll den Armeehaushalt festlegen, was bisher nur einmal und eher symbolisch geschah. Die Regierung soll ihren Kampf gegen Militante fortsetzen. Außerdem darf Pakistan kein Hilfsgeld dafür verwenden, sein Militärarsenal auszubauen, das es auf Indien richtet. Die USA sollen hierfür kontrollieren, was Pakistan mit gelieferten Waffen macht.

Clintons Besuch ist eine groß angelegte vertrauensbildende Maßnahme

Der Aufschrei unter der Armeeführung, die sich bislang nie irgendeiner Kontrolle unterworfen hat und sich als zentrales Standbein des Staates versteht, fiel entsprechend hysterisch aus. Armeechef Ashfaq Kayani startete über befreundete Journalisten und TV-Moderatoren eine Kampagne gegen die zivile Regierung, weil diese dazu bereit war, auf diese Bedingungen einzugehen. Schnell kam Kritik aus allen Richtungen: Präsident Asif Ali Zardari gefährde Pakistans „Souveränität“, er habe das Land an US-Interessen verkauft. Der Bruch zwischen Armee und ziviler Regierung war vollzogen.

In diesem Konflikt sitzt die Armee am deutlich längeren Hebel. Denn noch ist es nicht klar, ob die Militärführung beabsichtigt, ihre Offensive gegen die Pakistanischen Taliban so lange durchzuziehen, bis die Militanten besiegt sind. Pakistans Sicherheitsestablishment benutzt schon seit Jahrzehnten – direkt und indirekt – militante Islamisten, um ihre Interessen in der Region durchzusetzen. Sollte es Hillary Clinton nicht gelingen, Pakistans Generäle zu beschwichtigen, könnten diese die Offensive in Südwasiristan jederzeit stoppen und ihre Truppen abziehen. Washington wäre so weit wie zuvor.

Doch auch die Ereignisse auf der anderen Seite der Grenze dürften in Washington Kopfschmerzen bereiten. Mit ihrem Angriff auf ein UN-Gästehaus in Kabul ist den afghanischen Taliban ein Anschlag in einem streng gesicherten Bereich gelungen. Drei Angreifer hatten am Mittwochmorgen das Gästehaus attackiert und Geiseln genommen. Als Sicherheitskräfte das Haus zurückerobert hatten, waren die drei Angreifer sowie sechs internationale UN-Mitarbeiter tot.

Der Leiter der UN-Mission in Afghanistan, Kai Eide, sprach von einem „sehr schwarzen Tag“. Aber die Vereinten Nationen fühlten sich weiter gegenüber Afghanistan verpflichtet. Der Angriff ereignete sich, während die Vorbereitungen für die zweite Runde der afghanischen Präsidentschaftswahl am 7. November auf Hochtouren laufen. Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff auf das Gästehaus und kündigten weitere an.