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Archiv-Artikel

Kulinarische Revolution

ALPHÜTTEN Erst wandern, dann genießen – möglich ist das im österreichischen Paznauntal. Sterneköche sorgen dort in einigen Berghütten für das Essen

Kulinarischer Jakobsweg

■ Saison: Auch wenn sich die Touristiker im Paznaun den kulinarischen Jakobsweg ausgedacht haben, um den Sommertourismus zu aktivieren, sind zwei der Hütten auch im Winter offen und bieten Genussgerichte an. Nächstes Jahr geht es mit neuen Köchen weiter.

VON WALTRAUD SCHWAB

Auf der Jamtalhütte im österreichischen Paznaun, 2.164 Meter über Meer, werden Gäste mit Handschlag begrüßt: „Ich bin der Gottfried“, sagt der Hüttenwirt. „jo greasdi“ – fast wie „Grüezi“, es ist nicht weit bis in die Schweiz, einen Berggipfel weiter ist das Engadin.

In der Küche der Alpenhütte steht Eckart Witzigmann, der Sternekoch in einem roten Anorak fast scheu. Witzigmann hat die Patronage einer besonderen Aktion übernommen: Auf den Hütten soll vernünftiges Essen angeboten werden. Nein, nicht nur vernünftiges, richtiges gutes sogar. „Wer braucht Toast Hawaii auf einer Hütte“, sagt er. Auf diese Frage hat man sich eingeschworen. „Es kostet genau so viel, schlechtes Essen auf die Hütten zu bringen wie gutes“, ergänzt Alfred Parth, Witzigmanns Freund, Obmann vom Paznauern Touristikverband.

Vier größere Orte gibt es im Tal: Galtür, Ischgl, Kappl und See. Von jedem dieser Dörfer führen Wege zu einer der vier Hütten, auf denen Witzigmann und der Obmann eine kulinarische Revolution anzettelten. Im vierten Jahr jetzt schon. Für jede dieser Hütten kreiert je ein Sternekoch ein Gericht. Bezahlbar und mit regionalen Produkten.

Von Galtür aus, jenem Dorf, das vor zwölf Jahren teilweise unter einer Lawine begraben wurde, 31 Menschen starben, geht es hoch zur Jamtalhütte. Zwischen steilen, grün überzogenen Abhängen zieht sich der Weg hoch zur Herberge. Berge rechts und links wie Wasserfälle, ein Changieren zwischen sonnenbeschienem und schattigem Grün. Dazwischen die silbrigen Spitzen von Fastdreitausendern, an denen Schnee klebt. Und gewaltig die Bäche, die steil die Bergflanken hinunterfallen.

Der Weg ist Schweiß und Frohlockung. Kitschig? „Ja, kitschig schön“, sagt die Wanderführerin. „Jeder Weg eine andere Landschaft.“ So schade, dass die Einheimischen vor lauter Wintertourismus das nicht mehr sehen. Sie mag den Sommer lieber. Der ist kurz.

Oben auf der Hütte fotografiert Gottfried, der Wirt, das Gericht, das Karlheinz Hauser, Sternekoch aus Hamburg, für die Jamtalhütte kreiert hat: Rehschulter mit einem Selleriemousse, Pfifferlingen, Preiselbeeren, Rosenkohl und Semmelschnitte. „Es muss gut aussehen, auch später noch, wenn die Chefs weg sind“, sagt Gottfried. Deshalb hantiert er mit der Kamera.

Die Hütten in den Alpen – Heimstatt der Bergsteiger und Bergwanderer. Ein Ziel, ein Ort, wo man haltmachen kann, verschnaufen, sich ausruhen, sich stärken, übernachten. Um dorthin zu kommen, nehmen die Bergwanderer Anstrengung, schnellen Atem und Muskelschmerzen in Kauf. Es ist die Sollseite. Auf der Habenseite: klare Luft, klares Wasser, Alpenkräuter, Blumen, Insekten, Natur.

Aber dann am Ziel – auf der Hütte – kriegen die Wanderer: Bratwurst, Fertigpizza, von Toast Hawaii ganz zu schweigen. Da wollen die „Genussrouten“ neue Akzente setzen. Die Strategen vom Touristikverband nennen es: „Kulinarischen Jakobsweg“.

Kulinarischer Jakobsweg – der Titel ist geniale Anmaßung. Jede Anstrengung ist Jakobsweg. Und wo Jakobsweg ist, sind Pilger, ist eine Massenbewegung. Es klingt nach weichgespültem Sommerzirkus in einem Tal, das sonst vor allem auf der Landkarte der Skiläufer verzeichnet ist.

„Das Paznaun ist das kapellenreichste Tal“, sechzig allein gebe es, verteidigt Parth, der Chef vom Tourismusverband, das Jakobsweg-Label. Das dürfte reichen, um Jakobswegler zu überzeugen.

Parth ist seit 34 Jahren mit Witzigmann befreundet. Der habe die gute Küche Deutschlands und Österreichs international wieder salonfähig gemacht. „Und ist trotzdem bescheiden geblieben“, sagt er. Es soll ihn einige Flaschen Rotwein und Abende gekostet haben, um den Sternekoch dazu zu bewegen, sich vor den Karren spannen zu lassen. Wer am Ende auf die Idee kam, es „kulinarischen Jakobsweg“ zu nennen, sei nicht mehr klar.

Egal, ins Schwitzen kommen die Wanderer schon, wenn sie die Hütten, die jetzt also an einem Jakobsweg liegen, erreichen wollen. Mal geht es quer durch rot blühende Alpenrosenfelder, mal eng an einem Bach entlang, mal über eine Hochalp, stundenlang vorbei an grasenden Kühen und weidenden Pferden. Unzählige Murmeltiere soll es auch geben. Das sagt zumindest der Wirt der Heidelberger Hütte. Auf einem Hochplateau liegt sie. Mit Sonne, Mountain-Bikern und Adler als Highlights. Und der Paccheri Pasta, gefüllt mit Wurst, gewürzt mit Lakritz. Der italienische Koch Stefano Ciotti hat sie kreiert.

Fleisch ist auch in den Gerichten, die ein niederländischer und ein belgischer Chef für die anderen zwei Hütten komponierten. Das habe mit dem Anspruch zu tun, dass regionale Produkte verarbeitet werden sollen. In den Alpentälern wird Viehwirtschaft betrieben. Für Landwirtschaft sind die Winter zu lang. „Wanderer, halt dich fern / von Wiesen und Weiden“ steht passend dazu auf einer Bank am Wegesrand, „dann kann man dich besser / vom Vieh unterscheiden“.