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Archiv-Artikel

So viel Beute machen wie möglich

METAWESTERN Mit „Zebulon“ schuf der US-amerikanische Autor Rudolph Wurlitzer die abgründig-komische Vorlage für Jim Jarmuschs Film „Dead Man“

Leibniz was wrong. Die Welt ist nicht „die beste aller möglichen Welten“. Und Benjamin Franklin irrt ebenfalls. Amerika ist alles andere als das „gelobte Land“

Rudolph Wurlitzer gehört zu den US-Postmodernisten, die in den 60er Jahren darangingen, dem alten Gemäuer des Romans eine Grundsanierung angedeihen zu lassen. In kurzer Folge publizierte er drei mehr oder weniger experimentelle Romane („Nog“, „Flats“, „Quake“, allesamt unübersetzt), die von Donald Barthelme, Thomas Pynchon und Sam Shepard gefeiert wurden. Gleichzeitig schrieb er Drehbücher für die New-Hollywood-Avantgarde. Der „Esquire“ druckte sein Skript des Kultfilms „Two-Lane Blacktop“ (dt. „Asphaltrennen“) in voller Länge.

Weil in den Bergwerken der Filmindustrie mehr Kohle zu holen war, ging er unter Tage, verschwand aus der literarischen Öffentlichkeit und schrieb für Peckinpah, Schlöndorff, Bertolucci u. a. Erst Mitte der Achtziger erschien sein vierter Roman, „Slow Fade“, und fast ein Vierteljahrhundert später, 2008, dann „The Drop Edge of Yonder“, eine überarbeitete Fassung eines Drehbuchs aus den 70er Jahren, von dem sich Jim Jarmusch zu seinem psychedelischen Anti-Western „Dead Man“ mehr als nur anregen hat lassen.

Zebulon, der Held des Romans, der jetzt auf Deutsch vorliegt, ist ein „Mountain Man“, einer dieser vom Fusel und der Einsamkeit wunderlich gewordenen Zivilisationsrebellen aus dem Südwesten der USA, die Mitte des 19. Jahrhunderts bereits den wilden Pioniertagen hinterhertrauern. Es dauert noch ein paar Jahre, bis der Bürgerkrieg beginnt. Der Staat expandiert weiterhin, der Goldrausch in Kalifornien zieht Glücksritter aus aller Welt an, vor allem aber konsolidiert er sich im Innern. Langsam kehren Recht und Ordnung ein, Abhängigkeiten und Restriktionen. Nicht nur für die Fallensteller das Ende einer Ära.

Für Zebulon endet mehr als das. Wurlitzer lässt die historische Übergangsphase korrespondieren mit einer Art mystischem Moratorium, in dem seine Hauptfigur infolge eines Fluchs gefangen ist. „Von nun an wirst du wie ein Blinder zwischen den Welten treiben, ohne zu wissen, ob du tot oder lebendig bist“, ruft ihm eine sterbende Indianerin zu, deren Ende er verschuldet hat. Wie der „ewige Jude“ – der Name Zebulon geht zurück auf einen der Stammväter der zwölf Stämme Israels – irrt er nun durch diese Welt. Und wie Voltaires Candide findet er überall nur Mord und Totschlag. Leibniz was wrong. Die Welt ist nicht „die beste aller möglichen Welten“. Und Benjamin Franklin irrt ebenfalls. Amerika ist alles andere als das „gelobte Land“.

Im Modus des Schelmenromans liefert Wurlitzer eine sarkastische Abrechnung mit den romantischen Westernmythen. Und man kann schon verstehen, dass Wurlitzer auf Jarmusch nicht gut zu sprechen ist, die Ähnlichkeiten sind offensichtlich. Aber „Zebulon“ ist eher eine Tarantino-Version des Stoffs, ein action- und anspielungsreicher Metawestern, der die Genregepflogenheiten ebenso akribisch erfüllt, wie er sie persifliert. Bei den knallhart komischen Dialogen, die gern ins Existenzialistische driften, um sich in höherem Blödsinn zu verlieren, haben Dutzende Western Pate gestanden. „Ein Mann macht so viel Beute, wie er kann, und er strebt in höheres Gelände“, ist eine von Zebulons Lebensmaximen. „Wenn er Glück hat, kann er es noch mal tun.“

In diesem Sinne hat der Held ziemlich viel Glück. Er tut es immer wieder. Und als er einem Reporter Schauermärchen von vergangenen Übeltaten erzählt, kommt sein Leben erst richtig in Schwung. Auf einmal ist er eine steckbrieflich gesuchte Verbrecherlegende, ständig auf der Flucht vor Kopfgeldjägern und anderem Gesindel. Wurlitzer löst die lineare Erzählstruktur auf, der Plot gehorcht, dem handlungsmotivierenden Fluch entsprechend, einer Albtraumlogik.

Die Handlung kreist um sich selbst. Mehrfach wiederholt sich eine Szene: eine Pokerparty, die in einer Schießerei und schließlich mit einer Kugel in Zebulons Herzen endet. Regelmäßig wacht er danach in einem Straßengraben auf, und die Odyssee geht weiter. Zebulon äußert bisweilen die Vermutung, dass er „in dem gottverfluchten Traum von einem andern steckt und nicht rausfindet“. Recht hat er. Nämlich in Wurlitzers von Westernklamotten befeuertem, abgründigem und ziemlich komischem Genre-Tagtraum. FRANK SCHÄFER

Rudolph Wurlitzer: „Zebulon“. A. d. amerikanischen Englisch von Rudolf Hermstein. Residenz Verlag, St. Pölten 2012, 299 S., 22,90 Euro