: Der Kreis ist heiß
NÜRBURGRING Er bringt Politiker zum Rücktritt – und vor Gericht. Wie macht er das nur? Eine Spurensuche
■ Das Projekt: Die Rennstrecke Nürburgring gibt es seit 1927. Sie liegt im rheinland-pfälzischen Teil der Eifel, im Landkreis Ahrweiler. Seit 2007 wurde im Rahmen des Projekts „Nürburgring 2009“ das Gelände rund um den Ring ausgebaut: Hotels entstanden, ein Kneipenviertel, eine Achterbahn. Die Kosten: 350 Millionen Euro.
■ Der Termin: Das Projekt bringt die Landespolitik in Schwierigkeiten, auch Ministerpräsident Kurt Beck (SPD). Er will nun zurücktreten – aus gesundheitlichen Gründen. Ab Dienstag muss sich Ingolf Deubel (SPD), der ehemalige Finanzminister von Rheinland-Pfalz, vor Gericht verantworten. Ihm wird Untreue vorgeworfen.
AUS NÜRBURG ARNO FRANK
Geübte Wanderer erreichen die Hohe Acht, den höchsten Berg der Eifel, in etwa 20 Minuten. Von einem verschlafenen Waldparkplatz führt der Weg durch dichtes Gehölz, hin und wieder klopft der Specht, im Unterholz leuchten die Fliegenpilze, und ganz oben, auf der Kuppe eines erloschenen Vulkans, thront ein trutziger Aussichtsturm.
Er bietet ein berauschendes Panorama vom Taunus im Südosten über den Hunsrück im Süden bis zum Riesengebirge im Nordosten, jenseits des Rheingrabens. Von hier oben hat man auch einen herrlichen Blick auf eine ganz besondere Attraktion: die Bauchspeicheldrüse des Kurt Beck.
Sie liegt im Westen, rund um die historische Nürburg, und ist allgemein als Nürburgring bekannt. Weil große Teile der als „Grüne Hölle“ bezeichneten Rennstrecke im Wald verlaufen, kann man sie besser hören als sehen. Trotz der Entfernung ist die Luft von einem kontinuierlichen Summen erfüllt, der Summe an- und abschwellender Geräusche, erzeugt durch das Herunterschalten mächtiger Motoren vor einer Kurve oder dem Beschleunigen aus ihr heraus. Es ist ein Montag im Oktober, und auf dem Nürburgring herrscht Hochbetrieb.
Noch vor dem Eingang zur Nordschleife geht’s rechts ab in die Gottlieb-Daimler-Straße. Ein Gewerbegebiet, dem man die grüne Wiese noch ansieht, aus der es kürzlich gestampft wurde. Die Straße endet mit einem Kreisel, hier wird noch gebaut, Filialen für die Zulieferer der Autoindustrie. Unternehmen, die zu Testzwecken offenbar sehr oft sehr schnell fahren müssen. Das Logo des Nürburgrings flattert mit Fahnen im Wind oder ziert dezent das Heck vieler Autos hier. Es zeigt die Umrisse des Kurses und erinnert an ähnlich touristische Aufkleber vom Bodensee oder von Sylt. Tatsächlich ist die Strecke so etwas wie eine Insel, ein mit stacheldrahtbewehrten Zäunen von der Außenwelt abgeriegeltes, exterritoriales Sperrgebiet für die automobile Raserei. An vielen Stellen ist der Kurs gut einsehbar, dort stehen Besucher in Pulks auf Böschungen und trinken Bier aus Dosen, während unten die Sportwagen vorbeiwischen.
Käme manchmal auch ein Lkw des Weges gekeucht, man könnte es auch für einen beliebigen Autobahnabschnitt halten. Vor den Zapfsäulen der Tankstelle an der Döttinger Höhe stauen sich ein Ferrari F40, ein Lamborghini Gallardo, ein Porsche 911 Turbo, ein Lotus Exige, ein Aston Martin V8 Vantage, ein Audi R8, in dieser Reihenfolge – rein preislich gesehen mehrere Einfamilienhäuser. Es sind ausschließlich Männer, die hier volltanken. Viele ganz locker mit Wollmützen und Kapuzenpullis, manche mit breiten Schweißstreifen zwischen den Schulterblättern, wo ihnen von hinten der Mittelmotor einheizt. So wie Steven, der eine kleine Firma für Zahntechnik besitzt und eigens aus Wales angereist ist, um hier endlich mal die 485 Pferde seines Nissan GT-R auszufahren. Von irgendwelchen Großinvestitionen hat er noch nie etwas gehört. Aber über die stillgelegte Achterbahn in der Zielgeraden hat er sich schon gewundert.
Die Frage, weshalb er denn seine Familie nicht mitgebracht habe, quittiert er mit einem nachsichtigen Lächeln: „Es geht hier ums Fahren. Ich bin gestern angekommen und fahre morgen wieder zurück“, über Belgien, wo er noch ein paar Runden auf der Rennstrecke von Spa drehen will. Da geht’s auch nur ums Fahren. An der Tankstelle hat er für seinen Sohn ein Modell seines eigenen Autos gekauft.
Fast alle Fahrzeuge haben ein britisches Kennzeichen, weil eine englische Firma zum Schnellermachen von Autos diesen „Track Day“ veranstaltet. Teilnehmer dürfen für nur 617 Euro und 80 Cent pro Fahrzeug den ganzen Tag im Kreis herum fahren.
Abseits wird auf der Wiese gegrillt, überall stehen Motorhauben offen, und selbst die Fahrer aufgemotzter Kleinwagen tragen Helme, Sturmhauben und feuerfeste Overalls. Niemand hier dürfte sich sein Hobby vom Munde abgespart haben, es ist sehr viel ausländisches Geld zu Besuch in der Provinz. Der Laden brummt, sprichwörtlich und buchstäblich.
Inmitten des Trubels erscheinen die aberwitzigsten Ideen plötzlich ganz logisch: Ein ganzes Feriendorf müsste man hier bauen! Ein Casino und vielleicht auch einen Vergnügungspark! Eine Erlebnismeile! Restaurants! Diskotheken! Kinos! Eine Achterbahn! Tausend schöne Sachen, die wenig mit dem Fahren zu tun haben! Es wäre ein Turbolader für die ganze Region!
Man müsste nur mal ausrechnen, was das alles kostet …