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Archiv-Artikel

Der irrlichternde Professor

CDU-Kompetenzmann Paul Kirchhof bleibt ein Rätsel: Seine Forderung nach einem neuen Rentensystem nimmt er zurück, seine Steuerpläne konkretisiert er nicht

BERLIN taz ■ Paul Kirchhof findet, er sei klüger geworden. „Ich habe dazugelernt, seit ich in der Politik bin“, sagt Angela Merkels Finanzminister in spe. Nach zwei Wochen voller Missverständnisse und Kollisionen mit dem CDU-Wahlprogramm mühte sich der Polit-Newcomer am Donnerstagabend in zwei Auftritten, dem Wähler seine Steuer- und Rentenpläne zu erklären.

Verabschiedet hat sich Kirchhof von einer radikalen Reform des Rentensystems. „Die Frage stellt sich in dieser Zeit nicht“, sagte er auf einer gemeinsamen Veranstaltung von CDU-Arbeitnehmerschaft und -Mittelstandsvereinigung.

Kirchhof reagiert damit auch auf Kritik aus den eigenen Reihen. In einem Zeitungsinterview hatte er vorgeschlagen, die bisher umlagefinanzierte Rente allein durch Privatvorsorge zu ersetzen. Vorbild: die Kfz-Versicherung. Das hatte ihm die Häme von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und den Ruf eines „Rentnerschrecks“ eingebracht. „Die Vertrauensgrundlage des Generationenvertrags darf nicht zerstört werden“, sagt Kirchhof nun.

Beim Thema Steuern hingegen zeigte sich Kirchhof weniger offen. Ein ZDF-Duell mit SPD-Finanzminister Hans Eichel hätte die Chance geboten, endlich darzustellen, warum seine „radikale Steuerreform“ mit einer Flat-Tax von 25 Prozent nicht unsozial ist.

Doch Beispielrechnungen wischte er einfach beiseite. Etwa diese: Eine ledige Krankenschwester mit einem Jahresbrutto von 31.975 Euro müsste unter Kirchhof 133 Euro mehr Einkommenssteuer zahlen. Ein Manager mit einem Jahresbrutto von 150.000 hingegen würde um etwa 17.000 Euro entlastet.

Das sei „natürlich rechnerisch richtig“, räumte Kirchhof ein. Aber er wolle doch die „Gestaltungsmöglichkeiten“ der Besserverdienenden einschränken; sie sollten ihre Einnahmen nicht mehr klein rechnen können. Um zu belegen, welche Steuerschlupflöcher es gibt, verwies er auf „den großen Konz“ mit seinen „1.000 ganz legalen Steuertricks“.

Ein künftiger Finanzminister, der sich auf den Konz beruft – das wäre neu in Deutschland. Zudem überschätzt Kirchhof die populären Steuertricks: Konz hat längst eingeräumt, dass seine Leser im Schnitt nur 120 Euro jährlich sparen (taz, 8.12.2003).

Aufgeregt verwies Eichel immer wieder darauf, dass sechzehn Länderfinanzminister sowie diverse Wirtschaftsforschungsinstitute die Flat-Tax für ungerecht und unfinanzierbar halten. Im ersten Jahr würden 43 Milliarden Euro fehlen. Kirchhof retournierte mit einer Verschwörungstheorie: Das seien „irrige Ergebnisse“, längst korrigiert in einer „zweiten Berechnung“ der Minister, die aber „verheimlicht“ würde.

Doch obwohl Kirchhof die Vermutung bisher nicht ausräumen konnte, dass seine Vorschläge vor allem die besser Verdienenden begünstigen, unterstützt ihn der Arbeitnehmerflügel der Union. Als „große Nummer“ würdigte CSU-Politiker Horst Seehofer den Exverfassungsrichter. „Die Arbeitnehmer in der CDU stehen geschlossen hinter Ihnen“, versicherte Gerald Weiss. Der Vize der Unions-Arbeitnehmerschaft lobte Kirchhofs Steuerpläne als „brillant, kinderleicht und sozial gerecht“. Die meisten Wähler sehen das anders: Laut neustem Politbarometer halten nur 29 Prozent der Deutschen Kirchhofs Modell für eine gute Idee. U. HERRMANNK. JANSEN