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Archiv-Artikel

Siegermentalität für Nachwuchskicker

Ex-Profi Heiko Herrlich trainiert in der laufenden Saison die A-Jugendlichen von Borussia Dortmund. Nach überstandener Gehirntumor-Erkrankung will er seinen Jungs vor allem eine kämpferische Einstellung vermitteln

DORTMUND taz ■ Die „dritte Halbzeit“ dauert bei Heiko Herrlich meist länger als 45 Minuten. Mit sachlicher Ansprache erklärt der A-Junioren-Trainer von Borussia Dortmund dann seinen Nachwuchs-Fußballern im Detail, was ihm auf dem Spielfeld so alles nicht gepasst hat. Oft ist das eine Menge. „Mentalität und Anspruch stimmen bei manchen nicht überein“, schimpft der frühere Bundesliga-Profi (258 Einsätze), den es ärgert, wenn seine Schützlinge bei 3:0-Führung einen Gang zurückschalten. „Gerade dann muss man den Gegner auseinander nehmen“, meint der Trainer Herrlich, der als Beispiel auf den Spieler Herrlich verweist. „Ich war nie der beste Fußballer, hatte aber eine Menge hiervon“, sagt er – und klopft bei diesen Worten vehement auf die Stelle seines Brustkorbs, an der sein Herz schlägt. Sein Motto sei es stets gewesen, einmal mehr aufzustehen als hinzufallen.

Herrlich weiß, wovon er spricht. Vor fünf Jahren erkrankte der BVB-Stürmer an einem Gehirn-Tumor und kehrte schon zehn Monate später auf den Rasen zurück. Den Krebs besiegte der 75-fache Bundesliga-Torschütze – als er sich im Mai 2002 aber einen komplizierten Joch- und Schlüsselbeinbruch zuzog, waren alle Comeback-Versuche vergebens. 33 Jahre ist Herrlich heute alt. „Eigentlich bin ich viel zu jung für das Trainer-Geschäft und hätte lieber weiter gespielt. Aber es ging ja nicht“, sagt der fünfmalige Nationalakteur mit ein bisschen Wehmut.

Froh sei er gewesen, als ihm sein Verein das Trainer-Amt im Nachwuchs anbot. „Ich habe einen Ball im Kopf und hätte auch die D-Jugend übernommen“, lacht Herrlich, der dann aber wieder ganz ernst erzählt, dass der BVB für die Arbeit an der Basis bessere Leute habe. „Im unteren Juniorenbereich musst du den Spielern ganz andere Dinge vermitteln. Das sollten Experten machen, die es drauf haben“, glaubt Herrlich, der im Juni seine Prüfung zum Fußballlehrer an der Sporthochschule Köln ablegte.

Obwohl es ihm manchmal in den Zehen juckt, hütet sich der Ex-Profi davor, selbst aktiv am Training teilzunehmen. „Ich beobachte lieber und zeige den Jungs ihre Defizite auf“, sagt Herrlich, der es lieber vermeidet, von der Vergangenheit zu erzählen. „Die meisten Jungs wissen, dass ich früher auch viel Schrott gespielt habe und denken dann: was will der denn?“, meint er. Wichtiger sei es, den Nachwuchs von seiner Einstellung zu überzeugen. „Ich bin kein Schlaumeier, sondern fordere nur eine Steffen-Freund-Mentalität“, verweist Herrlich auf seinen einstigen Teamkollegen, der den Ruf, ein nimmermüder Kämpfer zu sein, aktiv bestätigte. „Wenn du bereits bist, für drei Leute zu rennen, sind später auch drei andere für dich da“, glaubt der Coach. Er selbst habe in jungen Jahren mit vielen Fußballern zusammen gespielt, die talentierter gewesen seien. „Sie blieben alle auf der Strecke, weil sie nicht so viel Wille und Herz wie Steffen Freund hatten“, sagt Herrlich. Es ist es ihm ganz recht, dass er auf einen bekannten Kollegen verweisen kann und nicht immer seine eigene Leidensgeschichte herunter beten muss. Kein Problem hätte er damit, wenn er von seiner Tumor-Erkrankung erzählen müsste, „aber bis jetzt hat mich noch keiner angesprochen.“

Abgehakt hat Heiko Herrlich diese Zeit und nun deutlichen Spaß an seiner Aufgabe, die er irgendwann als Sprungbrett für den Profibereich nutzen könnte. „Bert van Marwijk war acht Jahre Jugendcoach, ehe er nach oben kam“, verweist Herrlich auf den aktuellen BVB-Cheftrainer. Schließlich wollen fast alle Karriere machen. „In jeder Liga gibt es 18 Beckenbauers, trotzdem wird nur einer Meister“, meint Herrlich, der bei seiner zweiten Laufbahn auch in dieser Hinsicht die Willensstärke seines Kollegen Steffen Freund aufbringen will – und seine eigene.

Gestern verlor der Nachwuchs des BVB mit 0:1 gegen Borussia Mönchengladbach. Nach zwei Siegen ein erster Rückschlag für Heiko Herrlich, den er mit Sicherheit nicht so leicht akzeptieren wird. ROLAND LEROI