Jana Lapper Teilnehmende Beobachtung: Wie die Stadt zum Moloch wurde
Haben Sie das auch schon mal erlebt, dass Sie eine Zeit lang weg waren, verreist in eine ganz andere Gegend vielleicht, und als Sie zurück kehrten, kam Ihnen alles irgendwie komisch vor? Alles fühlte sich plötzlich so anders an? Mir erging es diese Woche so. Lange Zeit hielt ich Leipzig für die entspannteste und freundlichste Stadt überhaupt. Eine Woche auf dem Land und in den Bergen später, ist mein Blick auf die Stadt ein anderer.
Der intensive Dönergeruch vor meiner Haustür haut mich bei der Ankunft beinahe um. Die Straßenbahn rattert vorbei und selbst in meinem Bett liegend fühle ich mich von ihr überfahren. Und warum grüßen sich die Leute auf der Straße nicht? Sind die Leipziger*innen wirklich so kalt? Meine Freunde strömen in den Lene-Voigt-Park und ich frage mich, was sie an dieser braunen Brache eigentlich finden?!
An einem Freitagabend im Sommer ist hier ohnehin kaum ein einziger Meter mehr frei. Der „Park“ gleicht dann einer Open-Air-Veranstaltung, bei der jede*r glaubt, die anderen mit dem Gestank des halb verbrannten Billig-Steaks auf dem Grill und geisttötenden Elektrobeats belästigen zu können.
Überhaupt habe ich den Eindruck, die Leipziger*innen ertragen die Stille nicht. Selbst beim Spaziergang im Park hören sie Musik. Mir ist das egal, solange sie mich über Boxen nicht damit beschallen, wenn ich mal wieder vor dem Lärm der Stadt flüchte. Das sind doch die gleichen Stadtkinder, die auch beim Wandern das Vogelgezwitscher mit Musik verdrängen müssen.
Es half alles nichts – ich musste so schnell wie möglich wieder raus. Eine kleine Fahrradtour in den Norden des Auwaldes half. Hier sind nur Mücken, keine Menschen. Schiefe Bäume, kein Beton. Es riecht nach verblühtem Bärlauch, nicht nach Döner.
Wenn es mir selbst im beschaulichen Leipzig zu bunt wird, muss ich mir wohl eingestehen, dass ich in Wirklichkeit ein Landei bin. Wie gut, dass ich bald in eine noch größere Stadt ziehe – nach Berlin. Da werde ich Leipzig noch vermissen.
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