: Nach Zwangsräumung wieder obdachlos
Nach zwei Hausbränden mit 24 Toten lässt Frankreichs Innenminister die baufälligen Unterkünfte afrikanischer Einwanderer in Paris zwangsräumen. Alternativen gibt es nicht, denn es fehlen Sozialwohnungen. Dafür stehen 140.000 Appartements leer
AUS PARIS DOROTHEA HAHN
Die Ranzen für den ersten Tag des neuen Schuljahrs waren schon gepackt. Doch bevor sich die Kinder aus der Nummer 4 in der Straße der Brüderlichkeit – rue de la Fraternité – auf den Schulweg machen, rückt die Polizei an. Kurz vor 8 Uhr versperren ihre Mannschaftswagen die kleine Straße im 19. Pariser Arrondissement. Unter dem Geschrei von Kindern und Müttern räumen die PolizistInnen das Haus, das seit zehn Jahren von afrikanischen Familien besetzt ist. Als die Väter von der Arbeit zurück kommen, sind die Türen und Fenster des Hauses längst zugemauert.
Beinahe gleichzeitig findet am anderen Ende von Paris eine andere Räumungsaktion statt. Auch in der rue de la Tombe-Issoire im 14. Arrondissement leben AfrikanerInnen. Auch sie warten seit Jahren auf eine Umsiedlung in Sozialwohnungen.
Am Ende des Tages sind wieder 140 mehr Menschen in Paris obdachlos – die Mehrheit darunter Kinder. Die linke Stadtverwaltung, die von den Räumungsaktion des Polizeipräfekten ebenfalls überrascht ist, bietet den Geräumten winzige Zimmer in Billighotels an. Freie Sozialwohnungen hat sie nicht. Die BewohnerInnen der rue de la Fraternité lehnen ab. Sie ziehen in einen benachbarten Park. „Wir wollen nicht in Vergessenheit geraten“, sagt Aicha. Die Mutter einer vierjährigen Tochter stammt aus der Elfenbeinküste. Seit fünf Jahren lebt sie in Frankreich. „Was ich von den Behörden erwarte? Dass sie uns wie Menschen behandeln, nicht wie Hunde.“
Innenminister Nicolas Sarkozy hat die beiden Räumungen in Auftrag gegeben. Weitere sollen folgen. Das ist seine Antwort auf die beiden Hausbrände in Paris, bei denen am 25. und am 29. August insgesamt 24 Menschen, die alle aus Afrika stammen, umgekommen sind. Schon wenige Stunden nach dem ersten Brand stellt Sarkozy fest: Verantwortlich für das Drama ist die Einwanderungspolitik. Nach dem zweiten Brand verspricht er: Ich räume alle gefährlichen Bruchbuden in Paris.
In der französischen Hauptstadt gibt es rund 1.000 heruntergekommene, aber bewohnte Häuser. Darunter 423 als „extrem gefährlich“ eingestufte. Viele davon sind besetzt. Andere werden von Wohltätigkeitsorganisationen als „Übergangswohnraum“ verwaltet. Fast nur AfrikanerInnen leben in den Häusern.
Diese Situation hat die Linke im Jahr 2001 vorgefunden. Nach mehr als zwei Jahrzehnten rechter Stadtregierung haben die Linken eine Zählung der Bruchbuden veranlasst. Sie konnten ein paar PrivateigentümerInnen dazu bringen, ihre Häuser instandzusetzen. Anderen haben sie ihre Häuser abgekauft. Mit dem Ziel Instandsetzung.
Doch zuvor müssen die BewohnerInnen umgesetzt werden. Und daran scheitern viele Vorhaben. Denn erstens mangelt es in Paris dramatisch an Sozialwohnungen. Und zweitens dürfen VermieterInnen – sowohl private, als auch öffentliche – nur solche MieterInnen aufnehmen, die Aufenthaltspapiere haben. Viele BewohnerInnen der 1.000 Bruchbuden in Paris haben aber keine. Obwohl sie in Lohn und Brot stehen sowie Strom- und Telefonrechungen zahlen. Und obwohl ihre Kinder in die Schule gehen und oft die französische Staatsangehörigkeit haben.
„Wie viele Tote sind nötig, bis ihr Sozialwohnungen baut?“ steht auf einem Transparent, das Überlebende aus den beiden ausgebrannten Wohnhäusern am Samstag durch Paris tragen. Hinter ihnen demonstrieren an die 10.000 Menschen gegen Wohnungsmisere und Räumungen ohne Alternativangebote. „Sozialwohnungen in Paris und bei Sarkozy“ verlangt das Spruchband einer Obdachlosenorganisation. In dem lang von Sarkozy regierten Nobelvorort Neuilly gibt es nur 2,5 Prozent Sozialwohnungen – 17 Prozent weniger, als das Gesetz vorschreibt. „Instandsetzen, Sozialwohnungen bauen, beschlagnahmen“, verlangt die Gewerkschaft CGT. Denn in Paris, wo in den Schubladen des Rathauses 109.000 Anträge auf Sozialwohnungen warten, stehen 140.000 Wohnungen leer.