ZWISCHEN DEN RILLEN
Wie die Fruchtfliegen am Wiener Naschmarkt

Diese Musik macht Schwierigkeiten. Zum Glück lassen sie sich beheben. Zunächst meint man, bei der Wiener Band Ja, Panik die Referenzfalle zu laut zuschnappen zu hören. Das wandelt sich, wenn man die Songs auf ihrem zweiten Album „The Angst and the Money“ öfter hintereinander hört.

Als textgeprägte Musikhörerin hat man es heute nicht mehr so leicht wie Anfang der Neunziger, zur Blütezeit des Diskursrock. Genau an jene Ära knüpfen Ja, Panik an. Kolossale Jugend, die Zitronen oder frühe Tocotronic sind als Brüder im Geiste plötzlich wieder sehr nah, auch wenn die Wiener Burschen ob ihres Kindergartenalters in den Neunzigern mit dem Wort Diskursrock noch so viel am Hut gehabt haben dürften wie Schorsch Kamerun mit Theaterinszenierungen.

Sei’s drum, „The Angst And The Money“ ist ein wichtiges Album. Es macht frischen Wind, der den Staub unter den Ritzen der Tür durchpustet, der hinter Bösem in Form von Ich+Er und Co. lauert.

Ja, Panik haben ein herrlich unverkrampftes Verhältnis zur musikalischen Vergangenheit von Pomp, Punk und Verweigerungslyrik jenseits jeder Befindlichkeit. Die Band selbst brachte es in ihrem Blog auf den Punkt: „Wir sind die reine Differenz – die Substanzlosigkeit ist unsere Substanz.“ Verweigerung als Weg, offenkundige Zitate als Manifestation von Individualität. Nichts geht, nichts muss, und daher geht alles.

„The Angst and the Money“ ist von Tocotronic-Produzent Moses Schneider unaufdringlich und gleichzeitig präsent produziert. Der Auftaktsong und gleichzeitig die erste Singleauskopplung „Alles Hin, Hin, Hin“ lässt einen luchsartig aufhorchen: Ahhhh! Wut, Angst, Verve: ein Text mit hohem T-Shirt-Slogan-Potential: „Ohne Geld keine Angst/ohne Angst kein Geld/kein Geld ohne Angst/alles Hin, Hin, Hin.“ Und wenn der Chor sich im Refrain dazugesellt, macht das Lust auf Fäusteballen und Mitsingen.

Man tut „The Angst and the Money“ aber unrecht, wenn man die Musik nicht im Detail hört. Zum Beispiel den Song „Pardon“, der einen nach kurzer Ermattungsphase mit Feedback-Gequietsche und Geschrammel, gefolgt von einer schleppenden Pianofigur zurück vor die Kiste holt. Auch für den chansonartig-besoffenen Walzer „Blue Eyes“ möchte man extra in die Lieblingskneipe gehen, um auf dem Nachhauseweg das Lied zu hören und sich diesem in stinkenden Klamotten hinzugeben. Und zwar alleine.

Highlight des Albums ist aber „Als habe ich?“. Aus diversen Versatzstücken, die augenscheinlich gar nicht so zusammenpassen sollen, sprich aus Piano, Gitarrenwand, Geflüster, Geschrei, Agit! Agit! und abermals treffsicherem Text fügt sich ein Songmonster das exemplarisch für die Ambivalenz von Ja, Panik steht. Die Wiener klauen wie die Raben und schmeißen alles rotzfrech in den Topf.

Angenehm bei Ja, Panik ist, dass sie dabei so alterslos klingen – man träumt von 20-Jährigen, genauso gut könnten es Herrschaften jenseits des Diskurses sein, die in friedlicher Einheit mit den Füßen wippen.

Erlaubt sein muss jedoch die Frage, ob der bevorstehende Umzug nach Berlin wirklich die richtige Entscheidung ist. Dem Ja,-Panik-Alleinstellungsmerkmal droht im Wust von Style, Action und Fluktuation des Molochs dickes B die Gefahr, unterspült zu werden.

Falls Ja, Panik aber nicht der Verlockung von Nu-Rave anheimfallen, steht ihnen eine große Zukunft bevor. Und solange Andreas Spechtl seine Wortcollagen weiterhin zerschnippelt, verwirft und wieder zusammenbastelt und konsequent inkonsequent bleibt, werden sich die Fans von Ja, Panik stärker vermehren als die Fruchtfliegen am Wiener Naschmarkt. SASKIA TIMM