: Fischer und die Gunst der Stille
Joschka Fischer in Aachen garantierte bisher Trillerpfeifen und Zwischenrufe von linken Gegnern. Gestern blieb es eher ruhig. Die Montagsdemonstranten mussten tagsüber zur Arbeit
AUS AACHEN MICHAEL KLARMANN
Etwas fehlt ihm dann doch: Nach fünf Jahren Gegenwind hat Grünen-Chefwahlkämpfer Joschka Fischer gestern in Aachen erstmals ohne Proteste sprechen können. Zwar sindVertreter der sozialen Bewegung auf den Marktplatz gekommen, doch es bleibt seltsam ruhig. Nur ein Zurufer warnt: „Du bist gleich heiser“. Der leicht heisere Fischer nimmt es locker: „Es gibt Leute, die nur kommen, um ganz am Anfang einen Zwischenruf los zu werden.“ Auch etwa 15 Mitglieder der Linkspartei halten erstmal still.
Weil das nicht zu erwarten war, nutzt der Minister die Gunst der Stille: „Ich weiß nicht, ob Frau Merkel einen Führerschein hat“, stichelt er zum Unions-Slogan ‘Vorfahrt für Arbeit‘. Falls sie einen habe, „sollte sie nicht den Rückwärtsgang einlegen“. Applaus der 500 Parteifreunde. Dreißig Minuten später zieht Fischer sein Jackett aus. Hemdsärmelig sucht er doch den Dialog mit den „lieben Freundinnen und Freunden der PDS“. Einige Rufe der WASG-Leute kommen retour. Fischer witzelt, sie würden doch nur als „populistischer Narrenzug bei konservativen Mehrheiten“ scheitern. Am Ende eines 50 Minuten Streifzugs durch die Politik ist um 13.20 Uhr Schluss. Fischers Hemd ist verschwitzt wie nach einem Waldlauf. Siegessicher hebt er die Arme und zeigt viel Achselschweiß.
Der Auftritt lief glatt. Dabei hatte der örtliche Grünen-Chef Jochen Luczak befürchtet, wegen des gestrigen bundesweiten Aktionstages der sozialen Bewegung den falschen Termin für den Fischer-Besuch gewählt zu haben. Im Kommunalwahlkampf 2004 hatten noch rund 250 Montagsdemonstranten Fischers Rede mit einem Pfeifkonzert überstimmt und den Marktplatz in ein Meer roter Karten verwandelt. Nachdem Andrej Hunko, Sprecher der „Initiative Montagsdemo“, sogar angekündigt hatte, „die soziale Bewegung meldet sich am 5. September anlässlich der Bundestagswahl zu Wort“, hatte Luczak Ungemach befürchtet. Doch die Montagsdemonstration fand erst am Abend zusammen. „Ein scheiß‘ Termin“ sei der Fischer-Besuch für Proteste gewesen, so ein Grünen-Gegner – das Gros der Demonstranten habe eben arbeiten müssen.
Aachen gilt als eine Hochburg der Grünen. Bei der Bundestagswahl 2002 holten sie 16,6 Prozent, bei der letzten Europawahl 22,4, bei der Kommunalwahl im Herbst 17,6 und bei der Landtagswahl 12,8 Prozent. Daher sind Besuche des grünen Promis hier Pflicht. Doch die bei Protesten gegen den Irak-Krieg mit den lokalen Grünen kooperierende linke Szene hat es Fischer nie leicht gemacht. Auch die Autonomen – für jeden Vermittlungsversuch der Grünen bei Hausbesetzungen und illegalen Demos dankbar – standen bislang mit den Grünen auf Kriegsfuß, wenn es hieß, „Joschka kommt“.
Im Landtagswahlkampf hatten so 80 Gegner gegen den Regierungspolitiker demonstriert. Damals freute sich Fischer an der „Routine“, und wetterte ähnlich wie Helmut Kohl teils populistisch, teils ironisch gegen die Linken. Vergessen war da wohl noch nicht sein Besuch vor den Kommunalwahlen 2004, als die Montagsdemonstranten Fischer zu einem heiser-krächzenden Wahlkämpfer degradierten. Bei der Bundestagswahlkampf 2002 hatte Fischer – im bürgerlichen Leben immerhin deutscher Chef-Diplomat – die 80 Gegendemonstranten als „Pfeifenköpfe“ beschimpft, die die Missachtung der Menschenrechte in Afghanistan „erst nach dem 11. September entdeckt“ hätten. Dabei waren unter den Demonstranten etwa 20 exilafghanische Demokraten, die teils in Lebensgefahr aus ihrer Heimat geflohen waren.
Afghanistan war auch gestern wieder Thema. Fischer kritisiert die Zustimmung der CDU zum Irak-Krieg – rotgrün habe den Krieg abgelehnt. „Überflugsrechte“ ruft jemand, weil Deutschland bei der US-Kriegsführung trotzdem logistisch Gewehr bei Fuß stand. „Komm mir nicht mit Überflugrechten“, wettert Fischer, deutsche Soldaten würden in Afghanistan dafür sorgen, dass die Taliban, der Bürgerkrieg und die Frauenunterdrückung nicht zurückkämen. Er wechselte das Thema. Ruhe.