: Abartige Lederferkel
Der homosexuelle Mann (Spezial): Ein Fetischfest fesselt konservative Kommentatoren
Der homosexuelle Mann hat den Bogen überspannt. Klaus Wowereit bekam heftige Prügel in der vergangenen Woche dafür, dass er mit einem Grußwort Europas Fetischfreunde zu ihrem Stadtfest in Berlin empfing. Die CDU witterte Wahlkampfmunition und schimpfte auf des Bürgermeisters Aufmerksamkeit für „zweifelhafte Pornofeste“: „Berlin braucht einen Regierenden Bürgermeister, der … nicht Gruppen in den Vordergrund stellt, die ihren Lebenssinn darin sehen, abartige Sexualmethoden zu praktizieren.“
Selbstverständlich hetzten Springers Blätter kräftig mit, rückten die Straßenfest-Sponsoren des „Lederferkel-Fests“ (B.Z.) in die Neonazi-Ecke, und Bilds höchstbezahlter Borderliner, Franz Josef Wagner, rief dazu auf, „dem Bürgermeister von Berlin endlich den Marsch zu blasen“. Eine Grenze, so der Tenor, war überschritten, Wowereit zu weit gegangen.
Wo sich der eine ins Visier nehmen lässt, kann man sich gleich die ganze Bagage vornehmen. Die FAZ kommentiert dazu auf Seite 1: „Es geht ja der Schwulenbewegung schon lange nicht mehr um Legalisierungen, sondern … um die systematische Erzeugung eines gesellschaftlichen Echos der Anerkennung.“ Die schwulen Quälgeister können den Hals nicht voll genug kriegen, provozieren immer weiter und wollen immer mehr. Sie greifen nach der ganzen Hand, der kleine Finger reicht nicht mehr aus.
So mag es auch Bernd Ulrich sehen. Der Kommentator des Tagesspiegels und stellvertretende Chefredakteur der Zeit, der 68er-Fresser mit grüner Vergangenheit und dem Christen-Kreuz über dem Schreibtisch, hat die Grußwort-Vorlage beseelt genutzt. Denn Ulrich mag die Schwulen nicht, ganz und gar nicht, das durfte man wiederholt seinen Kommentaren entnehmen. Da gingen dem konservativen Familienvater in der Debatte um die Homo-Ehe so manche Forderungen – „bei allem Respekt vor den Wünschen der Homosexuellen“ – zu weit, und außerdem würden Homosexuelle, im Erbrecht gleichgestellt, doch gar nichts weitergeben an ein nachgeborenes Kind, sondern nur „von Mann zu Mann“.
Ulrichs mahnenden Worte haben nicht gefruchtet, das positive Image ehewilliger Homosexueller scheint nicht zu knacken. Da lohnt der Angriff von der Breitseite, über ihre perversen Ableger muss doch der Sippschaft beizukommen sein. Bernd Ulrich darf innerhalb einer Woche gleich zweimal an prominenter Tagesspiegel-Stelle den „enthemmten“ Wowereit und sein Tun kommentieren. Viel Platz und Aufwand also in einem Blatt, dass anlässlich der üblichen CSD-Plappereien gern dem liberalen Mainstream folgt, jetzt aber die Chance sieht zur politischen und moralischen Hatz.
Bei dem Straßenfest der Fetischfreunde gehe es, fantasiert Ulrich, „um die Propagierung, Kommerzialisierung und Radikalisierung von sexueller Gewalt“, und assoziiert dazu „Maikrawalle, Fußballrandale, Bandenkriege und Ehrenmorde“. Dass es den Lack-, Leder- oder Sonstwie-Fetischisten um Sexuelles geht, einvernehmlich zwischen zwei Erwachsenen geregelt, passt Ulrich nicht in den Kram und nimmt er auch nicht zur Kenntnis. Und dass hierbei die Trennlinie gar nicht mehr zwischen Homo und Hetero verläuft, sondern vielmehr zwischen den verschiedenen Fetischen und Stimulantien, das würde er gleich gar nicht verstehen.
Um ganz sicher zu gehen, dass seine Mahnung ankommt, legt Ulrich vier Tage später noch einmal großformatig nach. Die „Ehrenmorde“ bemüht er erneut sowie „die Gewalt-Musik von Skinhead-Bands“, keine Keule wird ausgelassen zur atmosphärischen Verschärfung. Und dann kommt Ulrich auf den Punkt: „Schwul ist in Ordnung, Sado-Maso ist es nicht.“ Das und nur das sei – so Ulrich – die „moralische Orientierung“, die der Bürgermeister seinen Bürgern mit auf den Weg zu geben habe. Der Keil ist damit getrieben, denn Homosexuelle, lautet Ulrichs Botschaft, sind zu tolerieren, solange sie ordentlich sind und angepasst, registriert im Doppelpack und ohne weitere Ansprüche, aber auf gar keinen Fall jene, die sich diesem Bild so demonstrativ verweigern. Die Weichen sind gestellt, das Ressentiment ist von der Leine gelassen. Nach der Wahl, versprechen alle Parteien vor der Wahl, werde keine Uhr zurückgestellt und die erreichten Homo-Rechte blieben unangetastet. Homophobiker wie Bernd Ulrich aber wittern Morgenluft. ELMAR KRAUSHAAR