US-PRÄSIDENT ZEIGT MIT RICHTERWAHL EINEN ANFLUG VON REALITÄTSSINN
: „Katrina“ stutzt Bush

Mit dem Tod des Vorsitzenden Richters am Obersten Gerichtshof der USA, William H. Rehnquist, ist US-Präsident George W. Bush an einem lange erwarteten Schlüsselmoment seiner Präsidentschaft angekommen. Bush hätte nun die Gelegenheit, durch eine zweite Nominierung den konservativen Zugriff auf den Obersten Gerichtshof auf Jahrzehnte hinaus zu sichern.

Allerdings bietet sich dem Präsidenten diese Chance in dem ungünstigen Moment, in dem seine Präsidentschaft durch das Versagen an der Hurrikan-Front in ihrer tiefsten Krise seit dem Amtsantritt steckt. Glaubte der Präsident doch, im Vollbesitz seines durch die Wiederwahl erlangten politischen Kapitals die ideologische Agenda seiner konservativen Unterstützer durchsetzen zu können.

Insbesondere die christliche Rechte hat stets betont, dass konservative Richternominierungen für sie Hauptanliegen an Bushs zweite Amtszeit sind. Der radikale Fernsehprediger Pat Robertson hatte sogar öffentlich den Herrgott angefleht, für Vakanzen im Gericht zu sorgen, damit eine neue Richterkonstellation Urteile etwa zum Abtreibungsrecht rückgängig machen könne. Am ehesten hätte Bush diese Wünsche befriedigen können, wenn er einen der zwei ultrakonservativen Obersten Richter zum neuen Vorsitzenden gemacht und neben dem bereits nominierten John Roberts eine weitere konservative Stimme geholt hätte. Dann aber hätte Bush in den nächsten Monaten gleich drei Bestätigungsverfahren im Kongress überstehen müssen. Dieser Kraftakt wäre vielleicht vor „Katrina“ zu meistern gewesen, jetzt ist er es nicht mehr.

Prompt hat Bush schon einen Tag nach Rehnquists Tod John Roberts, dessen Absegnung im Kongress trotz vieler Fragen kaum in Zweifel stand, zum designierten Chef berufen. Das zeigt, dass Bush die politische Lage seiner Regierung als bedenklich einschätzt – endlich ein Anflug von Realitätssinn. Wenn auch die noch ausstehende Nachnominierung moderat ausfiele, dann hätte „Katrina“ den noch im November kraftstrotzenden Bush womöglich vorzeitig zur „Lame Duck“ gestutzt.

BERND PICKERT