: Zurückgegebene Landschaften
Risse in Häusern und Weinbau am Seeufer: Die Folgen der Rekultivierung ehemaliger Tagebaugebiete in Ostdeutschland
■ Gut drei Monate nach dem Erdrutsch in Nachterstedt (Sachsen-Anhalt) sind Spezialisten der Harzer Bergwacht noch einmal in die Unglückssiedlung gegangen. Sie haben Erinnerungstücke der früheren Bewohner aus den verlassenen Häusern geborgen. Die 41 Bewohner am Concordia-Tagebausee hatten Habseligkeiten aufgelistet, die sie zurücklassen mussten, ihnen aber besonders am Herzen liegen. Die Siedlung war im Juli aufgegeben worden, weil die Häuser einzustürzen drohen. Trotz der heiklen Aktion blieb der Untergrund auch am Sonntag fest. Drei Menschen waren ums Leben gekommen, als riesige Erdmassen am 18. Juli zwei Häuser in den Tagebausee mitrissen. Noch am selben Tag mussten die Bewohner die Siedlung am Rande der Stadt verlassen. Sie durften nicht zurück. Die Siedlung wurde für unbewohnbar erklärt. (dpa)
AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH
Erdrutsch in Nachterstedt? Ein Alarmzeichen, diese Katastrophe in Sachsen-Anhalt vom Juli dieses Jahres, das schon. „Aber im März 2006 sind bei uns 2,7 Millionen Kubikmeter in den See gerutscht“, erinnert sich Horst Bernstein, ehrenamtlicher Bürgermeister von Altdöbern in Südbrandenburg. Das passierte am Westufer des ehemaligen Tagebaus Greifenhain. Eine gekippte Halde, nur rund hundert Meter von den ersten Häusern des 3.000-Seelen-Orts entfernt. „Aber die stehen auf gewachsenem Boden“, verweist Bernstein auf den beruhigenden Unterschied zu Nachterstedt.
Die Setzung hat nicht nur die LMBV auf den Plan gerufen, die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft, die mit Bundes- und Landesmilliarden die ehemaligen Braunkohlentagebaue Ostdeutschlands saniert. Für den künftigen Altdöberner See, der mit 66 Metern etwa drei Viertel seiner Flutungshöhe erreicht hat, ist sie noch komplett zuständig. Das neu entstandene Profil hat auch den Landschaftsarchitekten und Künstler Charles Jencks dazu animiert, hier eine begehbare riesige Hand aus Sand zu gestalten. „Wir haben Landschaft genommen und geben sie wieder zurück“, erklärt der Bürgermeister.
Der Fahradfahrer, der eine breite Öffnung im Zaun passiert, um sich die Stelle anzusehen, wird von einem LMBV-Arbeiter zurückgepfiffen. „Dort stabilisieren wir mit Rütteldruckverdichtung, dort darf niemand hin!“ Das gilt für alle Uferböschungen, die an Meeressteilküsten erinnern. Mit Rutschungen wie jüngst auch am Tagebau Jänschwalde muss in dieser Sanierungsphase stets gerechnet werden. Auch dort, wo die Böschung flacher ist, droht das berüchtigte Setzungsfließen des feuchten Sandes, das schon Großgeräte und Menschen verschlungen hat. Ob man wenigstens die kleinere Altdöberner Rutschung von 2008 sehen kann? „Das dürften Sie alles eigentlich gar nicht wissen“, zeigt sich der LMBVer überrascht. Dann zeigt er aber doch einen anderen Aussichtspunkt, schon ein bisschen gestaltet, mit einem Gratisfernrohr. Erreichbar über einen asphaltierten Radweg, der einmal um den gesamten See führen wird. Er soll Radler und Skater ebenso anlocken wie anderswo im Lausitzer Seenland, dem ehemaligen Tagebaugebiet, das vor Vattenfalls Neuaufschlüssen allerdings immer noch keine Ruhe hat.
Riss im Haus
Das Hauptproblem von Altdöbern wird am Häuschen der Rentnerin Eva Kahle deutlich. Auf den ersten Blick fällt neben der Haustür ein provisorisch verschmierter langer Riss im Mauerwerk auf. Die Haustür klemmt. In den Riss an der Rückwand der Stube konnte man eine Hand legen. Die hier geborene, jetzt allein lebende Rentnerin würde ja „gern etwas zuzahlen“, wenn das Problem endlich dauerhaft gelöst würde. Doch dazu reichen Arbeiten allein an ihrem Haus nicht aus. Bürgermeister Bernstein zeigt auf mehrere Gebäude in der Umgebung, die Schäden aufweisen. „Hier war vor dem Bergbau ein Quellgebiet.“ 600 Grundstücke am Ort hat die LMBV mittlerweile anerkannt, die alle das gleiche Problem haben: instabiler Boden durch Grundwasseranstieg seit der Stilllegung des Tagebaus 1992.
1935 hatte der Aufschluss des Tagebaus und damit seine Entwässerung begonnen. In der Folge saß auch Altdöbern auf dem Trockenen. Der gesamte Ort senkte sich etwa um einen halben Meter. An manchen Baumwurzeln, die plötzlich über dem Boden standen, und an aufgewölbten Straßenbelägen kann man es noch erkennen. Mit der Absenkung verdichteten sich auch die oberflächennahen Bodenschichten. Deshalb kehren mit dem Ende des Tagebaus nicht die früheren natürlichen Verhältnisse zurück. Die Entwässerung durch Quellen oder Gräben ist gestört, das Grundwasser drückt von unten. Es staut sich vor dem Niederlausitzer Landrücken, einer Endmoräne aus der Eiszeit, und vor dem Damm einer ehemaligen Kohlebahn. Der Grundwasserspiegel steht deshalb rund 12 Meter höher als der momentane Seewasserspiegel.
Bei Metallbau Mitschke sind ebenfalls Risse an den Gebäuden erkennbar. Wie viele andere Bürger auch habe man vor rund zehn Jahren versucht, die Probleme als Bergbaufolgeschaden anzumelden, berichtet Prokuristin Marina Becker. Die LMBV blockte und unterstellte zunächst schlechte Baugründungen. Das änderte sich, als sanierte Fundamente wieder in Bewegung gerieten. Bürgermeister Bernstein versteht sich als Vermittler: „Ich will Konsens mit den Bürgern und der LMBV“, erklärt er. LMBV-Sprecher Uwe Steinhuber verweist allerdings auf juristische Probleme mit der Rechtsnachfolge. Die Tagebau-Aufschlüsse begannen teils schon vor 100 Jahren. Die DDR wies Häuslebauer nur unverbindlich auf das Risiko nasser Keller nach der Auskohlung hin.
„Mit dem Bergbau lernt man Gelassenheit“, sinniert Prokuristin Marina Becker. „Aber man sollte schon etwas mehr an die betroffenen Menschen denken!“ Und da sind Pumpen und Schläuche eben nicht mehr als eine Soforthilfe. Als Dauerlösung ist nun ein Grabensystem vorgesehen, das in ein Becken mündet. Mit dem dort gesammelten Wasser könnte wiederum der Altdöberner See schneller geflutet werden.
50 Kilometer südöstlich von Altdöbern, am Bärwalder See, kennt man solche Probleme nicht mehr. Entlang dem 23 Kilometer langen Radweg rund um den ehemaligen Tagebau stehen zwar noch die „Betreten verboten!“-Schilder der LMBV. Die darunter stehende Warnung „Lebensgefahr“ aber ist überklebt worden. An ausgewählten Stränden darf ganz legal gebadet werden, mit oder ohne Textilien, und die Füße verwöhnt ausgesucht feiner Sand. Drei Bootshäfen sind inzwischen angelegt worden.
Der Gastwirt vom „Findling“ am Ortseingang von Boxberg freut sich über spürbaren Gästezuwachs. Touristen lassen sich auch nicht von der Panikmache um den Wolf vertreiben, der hier zuerst in Sachsen wieder heimisch wurde. Der See zu Füßen des neuen und alten Großkraftwerks Boxberg ist vor allem wegen des Versuchs eine Besonderheit, die jungfräuliche Landschaft unter künstlerischen und lebensreformerischen Aspekten neu zu gestalten. „transNATURALE“ heißt das Kunstfest, das seit 2004 seinen festen Platz in der Region hat. Eine Mischung aus subtiler Spiegelung der Industriegeschichte, kritischer Auseinandersetzung mit der Braunkohle, Licht-Klang-Spektakeln und fröhlichen Performances rund um den See. Inszenierungen in der gewaltigen alten Turbinenhalle oder die Laserspiele quer über den See von der Spitze der 300 Meter hohen Schornsteine aus bleiben in Erinnerung. Vieles wirkte bei einem Minimalbudget spontan und volksnah wie die halblegalen Feste zu DDR-Zeiten.
Erfinder der „transNATURALE“ war der Dresdner Kulturwissenschaftler Klaus Nicolai, ein Spezialist für virtuelle Kunst. Für ihn war das Kunstfest nur Brücke zu alternativen Lebensformen, die um den See entstehen sollten. Eine weitgehend autarke Siedlung „Aqua Topia“ zum Beispiel, für die am Boxberger Ufer schon eine ökologische Einraum-Musterwohnzelle steht. „Skulpturale Bebauung“ wollte Nicolai, und das Ganze sollte mit 2 Megawatt aus einem Aufwindkraftwerk in den drei alten Schornsteinen versorgt werden.
Doch die Konventionen sind stärker. Nicolai ist abgesägt worden, die transNATURALE soll in der üblichen Weise kommerzialisiert und zu einem Event gemacht werden. Vattenfall reißt mit den alten Kraftwerksteilen auch die Schornsteine ab. Und am Westufer steht schon das Bauschild für eine Siedlung aus dem Katalog der Verwechselbarkeiten. Nicolai bleiben nur sarkastische Bemerkungen über den herrschenden Kunstbegriff und über die „hermetischen Zirkel“ blutleerer Manager und Politiker.
Weinbau am See
Im konventionellen Sinne cleverer stellt es die Freyburger Winzerfamilie Reifert an. Auch sie vollbringt am Geiseltalsee bei Mücheln in Sachsen-Anhalt eine Pionierleistung, aber eine marktfähige. Vater Rolf kam auf die Idee, die ideale Südhanglage und die Sonnenspiegelwirkung des Sees für den Weinbau zu nutzen. Am künftig größten künstlichen See Deutschlands, wo einst 20.000 Arbeiter jährlich 100.000 Tonnen Kohle schürften, hat die LMBV die Böschung extrem verdichtet, befestigt und auf etwa 20 Grad Neigung abgeschrägt. Angst vor Erdrutschen hat hier niemand mehr. „Durch die Weinstöcke haben wir auch das Problem der Bodenerosion in den Griff bekommen“, sagt Sohn Lars Reifert. Die Tröpfchenbewässerung aus Pumpschläuchen hat man sich bei den Israeli in der Negev-Wüste abgeschaut.
Erstes Produkt war vor fünf Jahren der „Goldene Steiger“, ein noch verbesserungswürdiger Müller-Thurgau. Inzwischen steht ein ganzes Sortiment in den Regalen der Region. Erste Auszeichnungen trudeln ein, darunter der Preis für das innovativste Weingut Deutschlands. Dem geschäftstüchtigen Reifert-Junior genügt das noch nicht. Seit Pilger herausbekommen haben, dass der trendige Jakobsweg unmittelbar am Rebhang vorbeiführt, nimmt das Projekt einer Kapelle Gestalt an. Natürlich mit Weinausschank. Studenten der Weimarer Bauhaus-Universität haben es in einem Workshop entworfen.
Massentourismus allerdings wird es an diesem noch schlafenden See nicht geben. Die Uferzonen sind zum Naturschutzgebiet erklärt worden. „Einige Halbinseln werden nie betreten werden“, blinzelt der Herr des Geiseltal-Weinberges zufrieden gegen die traubenreifefördernde Seesonne.