: Die Zangenbewegung
FRAUENRECHT Die Geschlechterpolitik der Europäischen Union hat wichtige Grundlagen geschaffen. Ein Band stellt sie vor
VON HEIDE OESTREICH
Die Franzosen sind es gewesen. Als in den späten 1950ern der EWG-Vertrag verhandelt wurde, verdienten die Frauen in Frankreich bereits 86 Prozent der Männerlöhne. In Deutschland dagegen bekamen Frauen nicht mal zwei Drittel des Männerlohns, in den Niederlanden sogar nur gut die Hälfte. Die französische Regierung sah ihre Unternehmen reihenweise in Länder mit niedrigen Frauenlöhnen abwandern. Sie drohten mit Veto und schufen – aus ökonomischen Gründen – die erste soziale Norm der Wirtschaftsgemeinschaft: den Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit.
Ehefrau im BGB
Was die EU für die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern getan hat, ist das Thema des informativen Bandes „Von Rom nach Amsterdam“.
Der Fokus der Sozialwissenschaftlerinnen Theresa Wobbe und Ingrid Biermann liegt dabei ausdrücklich auf den positiven Entwicklungen. Die EU agiert vorwiegend neoliberal und tut nichts, um das Leitbild vom männlichen Ernährer auf dem Arbeitsmarkt zu ändern? Nicht ganz, meinen die Autorinnen.
Denn schon die erste Kommission, die über die Einhaltung der Römischen Verträge von 1957 wacht, rüttelt am Modell des deutschen Familienernährers. Noch bis 1977 stand im Bürgerlichen Gesetzbuch der Bundesrepublik, dass Ehefrauen den Haushalt zu führen hätten. Daraus hatten die Arbeitgeber stets abgeleitet, dass Frauen sich im Beruf weniger engagieren und deshalb schlechter bezahlt werden müssen als Männer. Die Komission räsonniert: Im Vergleich mit den USA und der UdSSR gelte es, die „weibliche Humanressource“ zu heben. Und dafür müssten die diskriminierenden Löhne abgeschafft werden. Besonders aktiv wird Europa zunächst nicht.
Aber immer, wenn die Europäische Gemeinschaft einen ökonomisch begründeten Rechtsrahmen schafft, kann die Frauenbewegung diesen auch für sich nutzen: 1968 beispielsweise klagt die Stewardess Gabrielle Defrenne vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), weil Frauen bei der belgischen Fluggesellschaft Sabena mit dem 40. Geburtstag automatisch ihren Job verlieren. Der EuGH mahnt eine Rechtsgrundlage an und der Rat reagiert: Von 1975 bis 1979 entstehen gleich drei Gleichbehandlungsrichtlinien, die die Diskriminierung bei der Bezahlung und beim Zugang zu Bildung, Beruf und Sozialleistungen verbieten. Der EuGH bewirkt später ebenfalls, dass das vorletzte Berufsverbot für Frauen in Deutschland fällt: erst dank ihm können Frauen seit 2001 in der Bundeswehr dienen. Er hat aber auch ein Herz für diskriminierte Männer und kippt 1995 die starre Frauenquote für den öffentlichen Dienst in Bremen.
An der Spitze der Bewegung
Seit die Union sich verstärkt als politische Einheit versteht, hat sie den Diskurs des internationalen Frauenrechts angenommen. Der definiert seit den 1990ern die Frauen nicht mehr als Spezialgruppe mit besonderen Bedürfnissen, sondern als Rechtssubjekte: Frauenrechte sind Menschenrechte, so das Schlagwort.
Die Methode, beiden Geschlechtern zu ihren demokratischen Rechten zu verhelfen: Gender Mainstreaming. Die EU setzt sich an die Spitze der Bewegung und verankert das Prinzip, immer darauf zu achten, wie beide Geschlechter betroffen und repräsentiert sind, 1997 im Vertrag von Amsterdam. Kurze Zeit später folgen die ersten Antidiskriminierungsrichtlinien. Frauenpolitikerinnen sprechen gern von einer Zangenbewegung: Die internationale Politik schafft die Rechtsnormen, die Frauenbewegung oder ihre NGO-förmigen Reste nutzen sie von unten und verändern so nationalstaatliche Politik.
Eine Diskussion oder Bewertung dieser Entwicklung leisten Wobbe und Biermann nicht. Doch das Buch bleibt eine fundierte Beschreibung der kurzen Reise der europäischen Geschlechterpolitik von Rom nach Amsterdam – und der Gewinne, die Männern und Frauen daraus erwachsen sind.
■ Theresa Wobbe, Ingrid Biermann: „Von Rom nach Amsterdam. Die Metamorphosen des Geschlechts in der Europäischen Union“. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, 29,90 Euro