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Archiv-Artikel

Brauchen Minister Sachverstand?

POSTEN Dirk Niebel: Entwicklungshilfe, Guido Westerwelle: Außenpolitik. Das neue Kabinett ist besetzt. Nach welcher Qualifikation es dabei geht, bleibt umstritten

Ja

Hildegard Hamm-Brücher, 88, früher FDP, kandidierte 1994 als Bundespräsidentin

Ich bin der Meinung, dass jeder Minister eine grundlegende Fachkompetenz mitbringen sollte. Er sollte jedoch nicht nur „Fachidiot“ seines Amtes sein, sondern unbedingt ein verantwortungsbewusster politischer Allround-Profi. In diesem Sinne plädiere ich dafür, dass vor der Berufung eines Ministers eine diesbezügliche Befragung, also ein Anhörungs- und Zustimmungsrecht des Parlaments, geschaffen wird, so wie es im US-Kongress selbstverständlich ist. Das Parlament sollte also nicht nur den Bundeskanzler wählen, sondern auch die Minister der Regierung. Auch hier gilt es meines Erachtens, ein Stück mehr Demokratie zu wagen.

Cornelia Goesmann, 57, Allgemeinmedizinerin, ist Vizepräsidentin der BundesärztekammerIch bin eine dezidierte Anhängerin von echtem Sachverstand. Gerade für ein hohes politisches Amt wäre dieser sehr zu empfehlen! Ein Arzt als Gesundheitsminister bringt den unschätzbaren Vorteil mit ins Amt, bereits Patienten behandelt zu haben und deren Anliegen und Nöte zu kennen. Darüber hinaus dürfte er mit den Fragen der Gesundheitsversorgung, der Ressourcenverteilung, Arbeitsabläufen in Krankenhäusern oder Praxen und der Kooperation der verschiedenen Gesundheitsberufe bestens vertraut sein. Und falls nicht, kann er Fachleute mit dem nötigen Sachverstand adäquat einbinden. Die Bundesärztekammer hat ja bereits der Politik empfohlen, einen „Gesundheitsrat“ zur breiten Konsensfindung über Fragen der zukünftigen Gesundheitsversorgung einzuberufen und hier neben Patientenvertretern auch beteiligte Gesundheitsberufe in politische Entscheidungen mit einzubeziehen. Denn Fachwissen ist in der Politik einfach entscheidend.

Wiebke Meyer, 21, ist Architekturstudentin aus Stade und hat ihren Beitrag auf taz.de gestelltMinister dienen nicht nur zur Repräsentation, sie beeinflussen die anderen Parteimitglieder, wenn es um deren Stimme geht. Kein Abgeordneter des Bundestags kann sich mit jedem Thema und Gesetzesentwurf ausreichend auseinandersetzen – völlig logisch! Daher müssen sie sich darauf verlassen können, dass ihr Fachmann an der Spitze die richtige Meinung im Sinne der Partei, optimalerweise auch sachlich, vertritt. Der Meinung können sie sich bei Abstimmungen dann anschließen. Doch ein Minister, der von seinem Amtsfeld keine fundamentierte Ahnung hat, darf kein Vorbild sein, von dem im Endeffekt die ganze Politik geleitet wird! Bestes Beispiel: Ursula von Leyen und ihr Stoppschild. Wenn ich keine Ahnung vom Internet habe, sollte ich es tunlichst vermeiden, hier ein Vorbild sein zu wollen. Das kann nur peinlich enden!

Markus Deutsch, 31, ist Rechtsanwalt und Referent beim Deutschen SteuerberaterverbandSachkenntnis zahlt sich für Minister von Anfang an aus. Denn ein erfolgreicher Minister muss gute Ideen auch mal gegen Widerstände am Kabinettstisch durchsetzen. Damit er sich eine eigenständige Meinung bilden kann, muss er sich in seinem Fachbereich auskennen. Sonst bleibt er zu sehr abhängig von seinen Experten – und damit beeinflussbar. Natürlich sollte er oder sie dennoch offen für Verbesserungsvorschläge von Fachleuten sein. Hieran hatte es jüngst zum Nachteil der Steuerzahler und der Rechtssicherheit gefehlt. Wären die Warnungen der Experten nicht ignoriert worden, hätte man sich das Korrigieren vieler Maßnahmen der großen Koalition sparen können. Nicht minder wichtig im Ministeralltag sind grundlegende Kenntnisse der Gesetzgebung und der Verfahrensabläufe. So hat die Kanzlerin mit dem Wirtschaftsjuristen Wolfgang Schäuble eine gute Wahl getroffen. Er ist erfahren auf der Regierungsbank und hat schon oft seinen Sachverstand in die Finanzpolitik eingebracht.

Nein

Franz Nuscheler, 71, Politikwissenschaftler, war Leiter des Instituts für Entwicklung und Frieden

„Entwicklungshilfe-Minister“ Dirk Niebel: Das ist die größte Peinlichkeit der schwarz-gelben Regierungsbildung! Es ist ja nicht schlimm, dass er sich nicht durch Sachkunde ausgezeichnet hat. Auch der Innenpolitiker Spranger der CSU war kein Entwicklungsexperte, machte dann aber im Entwicklungsministerium eine ganz gute Figur. Man kann sich einiges Grundwissen aneignen und vom ministeriellen Fachpersonal gute Reden schreiben lassen. Viel schlimmer ist, dass sich der neue Minister durch populistische Sprüche gegen einen Politikbereich zu profilieren versuchte, den er nun im In- und Ausland verteidigen soll. Diese Personalie hat nicht nur das Image des Entwicklungsministeriums weiter beschädigt, sondern auch der öffentlichen Wertschätzung der Entwicklungspolitik einen Bärendienst erwiesen.

Burkhard Schwenker, 51, ist Chef der Roland Berger UnternehmensberatungGute Politiker brauchen in erster Linie unternehmerisches Gespür: Wo gibt es neue Ideen, wie kann ich sie realisieren, was ist wirklich wichtig? Sie müssen gut, überzeugend und ehrlich kommunizieren können, und sie brauchen Mut zur eigenen Meinung! Mit anderen Worten: Es geht um Führungsqualitäten, Durchsetzungsfähigkeit, Beharrlichkeit. Fachkompetenz und die Erfahrung, große Apparate leiten zu können, sind zweifellos wichtig – noch wichtiger ist die Fähigkeit, sich in kurzer Zeit einzuarbeiten und die große Linie zu erkennen. Ein frischer Blick von außen kann helfen, neue Impulse zu setzen. Es gibt keinen Unterschied zwischen einem guten Minister und einem Spitzenmanager.

Claus Offe, 69, Politikwissenschaftler, lehrt an der Hertie School of Government in BerlinMüssen Minister Fachleute für ihre Ressorts sein? Dann müssten ja genug Fachleute Minister werden wollen! Doch der Vorrat an ministrablen Persönlichkeiten ist viel zu knapp, weil es sich stets um Jobs mit fraglicher Bestandsgarantie handelt. Als Leiter des Verkehrsministeriums braucht man auch keinen Straßenbauingenieur. Für die nötige Sachkunde ist die Ministerialbürokratie zuständig. Die politische Spitze von Ministerien unterliegt anderen Anforderungen. Zu ihnen gehört die Gabe der Lernfähigkeit und ein Blick für die verwinkelten Korridore des Machbaren. Dennoch, wenn man Familienministerin werden will (so die FAZ mit dezenter Häme), sollte man nicht kinderlos sein und als Verteidigungsminister möglichst kein Wehrdienstverweigerer. Unvergesslich, als Joschka Fischer damit punkten wollte, dass „chlorierte Kohlenwasserstoffe auch pastos anfallen können“. Sachlich richtig, aber als Qualifikation fürs Umweltministerium ziemlich lächerlich. Später wurde er bekanntlich Außenminister.

Martin Sonneborn, 44, Herausgeber der Titanic und Bundesvorsitzender von „Die PARTEI“ Minister sollten sich nicht mit Sachverstand belasten. Das ist etwas für Ministerialdirigenten und Staatssekretäre. Viel besser, und dieses Kind da, das in den vergangenen Monaten in diesem Land Wirtschaftsminister sein durfte, hat es schön vorgemacht, scheint es doch, sich teuren Rat bei Experten zu holen. Wenn ich dereinst Satire- und Krawallminister bin, erhalten Thomas Gsella und Oliver Maria Schmitt sofort hochbezahlte Beraterverträge. Um als Spitzenpolitiker ohne jegliche Fachkompetenz in Wahlkämpfen zu punkten, erkläre ich den Wählern stets, dass es genug Sachwissen in den Ministerien gibt, es vielmehr einer hochmoralischen, wirtschaftlich nicht verflochtenen PARTEI bedarf. Im Bereich der Wirtschaftspolitik werbe ich sogar damit, dass wir über KEIN Wirtschaftskonzept verfügen. In einer Zeit, in der alle bekannten Konzepte gescheitert sind, erringen wir damit die Herzen der Bürger.