: Pastorin aus der Staatskanzlei
Sie ist seit Freitag erst die zweite Ministerpräsidentin in 60 Jahren Bundesrepublik, die erste aus den Reihen der Union. Mit der bislang einzigen Frau im Spitzenamt eines Bundeslandes, der SPD-Politikerin Heide Simonis, verbindet Christine Lieberknecht allerdings auch die Erfahrung eines Dolchstoßes aus den eigenen Reihen. Simonis kam 2005 in Schleswig-Holstein zu Fall, Lieberknecht rettete sich gestern mit Hilfe der Gegenkandidatur des Linken Bodo Ramelow erst im dritten Wahlgang ins neue Amt.
Sie nahm den Körpertreffer im Erfurter Landtag mit jener christlich-stoischen Gelassenheit, die man an der gelernten evangelischen Pastorin schon oft beobachten konnte. Im Tandem mit dem Theologen Christoph Matschie von der SPD wird Thüringen nach dem katholischen System Althaus zwar nun protestantisch regiert. Das Wesen der Regierungschefin erinnert indessen eher an den berühmtesten Spruch des Papstes Johannes XXIII.: „Nimm dich nicht so wichtig, Giovanni!“
Schon als nach dem Skiunfall ihres Vorgängers Dieter Althaus dessen Rückkehr in die Politik unklar war, hätte sie den Kopf nur deutlicher herausstecken müssen. Doch das passt nicht zu ihr. Vielleicht sprechen die Wahlverweigerer gestern sogar für die ehrlich wirkende Frau, die eben nicht in Klüngeln eine Hausmacht begründen musste. Althaus stand sie trotzdem nahe, hielt ihm vier Jahre lang bei nur einer CDU-Stimme Mehrheit im Landtag den Rücken frei. Und Aufstiegsbewusstsein muss auch da sein, wenn man mit nur 32 Jahren nach der Wende erste Kultusministerin im neuen Thüringen wird und das Zwölfjahresabitur durchsetzt. Bundes- und Europaministerin war sie auch schon, stand 1999 bis 2004 dem Landtag als Präsidentin vor und leitete seit 2008 das Sozialministerium. Geboren in Weimar, trat sie 1981 in die Ost-CDU-ein, unterzeichnete aber 1989 den „Brief aus Weimar“, der eine Erneuerung und eine Abkehr von der SED forderte. Ihre umgängliche, offene Art muss die Opposition nun fast etwas fürchten. Denn viele trauen ihr zu, eine populäre Ministerpräsidentin zu werden. Ihr Glaube könnte noch eine wichtige Stütze dabei werden. Denn offenbar kann man Gott mehr vertrauen als dieser neuen schwarz-roten Koalition in Thüringen. MICHAEL BARTSCH