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Wider des Frühlings Erschlaffen

Ausgerechnet wenn die ersten Pflänzchen sprießen, die Tage länger werden und die Sonne wärmer, kämpft jeder vierte Bundesbürger mit der „Frühjahrsmüdigkeit“

Den Stoffwechsel ankurbeln: etwa mit Spaziergängen an der frischen Luft, bei denen so viel Licht wie möglich absorbiert wird Foto: Ingo Wagner/dpa/picture alliance

Von Jana Janika Bach

Doch, ganz sicher, es werde heute Regen geben, beteuert der Nachbar, trotz des Schäfchen-losen Himmels, das sei wie verhext, wenn er Fenster putze. Nicht nur Haus oder Hof, vor allem der eigene Körper hat zu Beginn des Jahres einen Frühjahrsputz bitter nötig.

Schon die Einnahme spezieller Pflanzen kann den Übergang von Winter zu Sommer erleichtern. Die Ingwer-Knolle schmeckt würzig und hat eine belebende Wirkung, versorgt ebenso mit Vitamin C, Eisen oder Calcium. Der asiatische Ginseng fördert die Konzentration, die Brennnessel liefert einen Schub an Eisen. Das kann Abhilfe schaffen, funktioniert aber nicht für jeden.

Die verdrehten Uhren fordern heraus, auch die mit dem Jahreszeitenwechsel umschwenkenden Licht- und Temperaturverhältnisse. Wenig erforscht ist, was dabei genau im Körper passiert. Immer wieder wurde die saisonale Erschöpfung mit einem Mangel der Hormone Serotonin und Melatonin begründet. Licht regt den Körper an, Ersteres zur produzieren, durch den Aufbau der Serotonin-Speicher, werde gleichzeitig die Ausschüttung von Melatonin, das den Schlaf-Wach-Rhythmus steuert, verringert. Die Schlappheit zur Wonnezeit sei somit eine Übergangsphase, die anhalte, bis sich der Hormonspiegel wieder eingependelt hat.

Wie viele seiner Kollegen, hält der Chefarzt der Abteilung für Schlafmedizin am St. Hedwig-Krankenhaus der Berliner Charité Dieter Kunz, diese These für falsch. Er erklärt das Phänomen mit einer Koordinationsschwäche: Nicht nur dem Körper, als einheitlicher Apparat definiert, wohnt eine eigene Uhr inne, vielmehr besitze jede Zelle eine solche. So schlägt das Herz mitunter schon im Takt des Frühlings, während Darm und Leber noch der Winterzeit anhängen. Dadurch können ähnliche Symptome auftreten wie bei Fluggästen, die von einer Zeitzone in die andere reisen, etwa Müdigkeit, Kopfschmerzen, Störungen des Verdauungstrakts, so die Theorie des Chronobiologen. Vertreiben lässt sich derlei durch Spaziergänge an der frischen Luft, bei denen so viel Licht wie möglich absorbiert wird.

Es gilt, den Stoffwechsel anzukurbeln und somit die Erinnerung an einen Winter, eingeschrieben ins menschliche Erbmaterial, zu verscheuchen. Spätestens nach drei bis vier Wochen, die Zeitspanne richtet sich nach einer auflebenden Tier- und Pflanzenwelt im März, sollte die Schlappheit durch ein Frühlingserwachen, dem in den Genen schlummernden Fortpflanzungs- und Futtertrieb, abgelöst worden sein.

Besonders gravierend scheint noch eine andere Ursache: Gerade zur Osterzeit mache den Menschen eine Schieflage des Körperhaushaltes zu schaffen, so Jürgen Vormann, Leiter des Instituts für Prävention und Ernährung in Ismaning bei München. Ein Grund dafür ist der Wunsch vieler, unbeschwert in den Frühling zu starten. „Dass man beim Fasten automatisch in eine Übersäuerung hineinrutscht“, so der Ernährungswissenschaftler, „wird meist vergessen.“

Ähnliche Symptome wie bei Fluggästen, die zwischen Zeitzonen reisen

Zwar können Diäten notwendig sein und Fastenkuren sogar in Schwung bringen. Doch beim Fettabbau entstehen „Stoffwechsel-Umbauprodukte“, die den Säure-Basen-Haushalt belasten. Angestrebt wird stets ein Ausgleich, der Körper bemüht sich, den pH-Wert des Blutes zwischen 7,37–7,45 zu halten. Das zu erkennen, ist gar nicht so einfach: Manches, das sauer schmeckt, wird wissenschaftlich als basisch eingestuft, etwa die Zitrone. Eine Mehrheit ernährt sich „säurelastig“, Tendenz steigend. Zu häufig werden Süßigkeiten und Fast Food verzehrt, Fleisch, Pasta oder Brot, zu selten basische Lebensmittel wie Obst und Gemüse. „Einen Teil können wir kompensieren“, sagt Vormann, „kein Problem“. Über den Urin wird ein Säure-Überschuss ausgeschieden und über die Nieren – deren Funktionen mit dem Alter allerdings rapide abnehmen. „Ein Prozent mit jedem Lebensjahr ab Mitte zwanzig, das heißt, ein Senior hat bereits eine seiner Nieren eingebüßt.“

Langfristig trifft Übersäuerung den Körper vielschichtig. Wenn sie dort „neutralisiert“ werden muss, werden dafür Mineralstoffe aus den Knochen abgezogen – eine häufige Ursache für Osteoporose. Ein Teil der Säure kann auch im Bindegewebe gespeichert werden und verändert dann die Muskulatur. „Äußerst ungünstig“, warnt der Ernährungsexperte, sei auch eine erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen, die eine lokale Übersäuerung und dadurch chronische Schmerzen im Gelenkbereich auslösen könne. „Schmerzrezeptoren reagieren empfindlich auf Säure“, erklärt Vormann. Eine gewisse Menge an Säure kann durch Schwitzen über die Haut entsorgt werden, etwa beim Saunieren. Unterstützend anwendbar sind Basenbäder oder Basen-Präparate zur Einnahme, zum Beispiel während einer Kur. Das Tragen von Entgiftungssocken indes, hält Vormann ebenso für Humbug, wie das so beliebte „Entschlacken“. So was sei im Körper gar nicht vorgesehen, so der Ernährungswissenschaftler: „Wir sind kein Hochofen.“ Entscheidend bleibt die Aufnahme basischer Substanzen durch eine kluge Ernährung. Wer dies beherzigt, kann einiges an Lebensqualität für sich gewinnen. Mit einer erst kürzlich durchgeführten noch unveröffentlichten Studie an der Charité konnte „eine Verbesserung des Energielevels um die Zellen herum bei zuvor ausreichender Basenzufuhr gezeigt werden“, so Vormann.

Spätestens im nächsten Frühjahr sollte es dann heißen: Müdigkeit passé, Winter ade, der Lenz ist da!

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