: Sie meldeten jede Bewegung
Eine Video-Tanzperformance über persönliche Erinnerung an die DDR im Forum Freies Theater in Düsseldorf
Lasst uns pflügen, lasst uns bauen, lernt und schafft wie nie zuvor. Rastlos treiben sich die Tänzer über die Fläche, verharren, lauern, rennen wieder los. In gewisser Weise hatte die Arbeit des Staatssicherheitsdienstes (Stasi) in der ehemaligen DDR auch etwas mit Fangen spielen zu tun. Jeder jagte jeden, alle bespitzelten alle. Auch die Eltern von Katja F. M. Wolf. Und so versucht sich die Choreografin und Tänzerin in ihrer Tanz-Performance „Treffpunkt 70“ daran zu erinnern. An die Kindheit, an die alte Wohnung und natürlich die heroische Nationalhymne.
„Treffpunkt 70“ war auch der Codename des operativen Vorgangs der Stasi. Umfangreiche Protokolle aus Leipzig sind heute bekannt. 1970 ist auch das Geburtsjahr der Choreografin. Neun Jahre war sie alt, als ihre Eltern die DDR nach vier Jahren Wartezeit verlassen durften. Sie verlor ihre Freunde, die Großeltern und irgendwie auch ein Stück Heimat. Ihre Feldforschung über das Erinnern verbindet Tanz, Puppenspiel und Video. Die Zuschauer sitzen im Kreis um die unschuldig weiße Fläche mit Videowand. Mit einer mobilen Kamera verfolgen die TänzerInnen sich selbst, die Zuschauer und die wenigen Requisiten. Was bleibt also hängen im Gedächtnis einer Neunjährigen, die das Land verlässt und doch wieder nicht? Zuerst sehr detailreich die elterliche Wohnung. Dann die spät eingesehenen Dokumenten-Splitter und Erinnerungsspuren aus der Kindheit ohne Pionierdasein und die Erkenntnis, dass die Eltern damals richtig gehandelt haben.
Die Dossiers, die Nachbarn und Spione damals über die Familie zusammentrugen, haben Comedy-Charakter. Eine gestrickte Handpuppe Kurt muss folgerichtig live für die Statements herhalten. Inhalte haben die Erkenntnisse nicht, Familie Wolf lebt unauffällig. Dennoch wurde seitenlanges Nichts dokumentiert. Eine lebensgroße Puppe steht für die heutige Tänzerin als Kind. Sehr langsam und still geht sie durch die Welt ihrer persönlichen Erinnerung, eingefrorene Spuren, Reflexe auf die Welt der Erwachsenen, in der sie auch ihren Halt fand. Im Hintergrund Szenen aus Leipzig. Dann singt die Gruppe a-capella die Nationalhymne. Anschließend eine sehr lange dramaturgische Pause, in der die Zuschauer unruhig werden. Doch es ist noch nicht das Ende der Performance. Kurt, der wollene Stasispitzel hat noch Informationen über das Nichts an Subversion. Puppenspielerin Evelyn Arndt zelebriert ihn mit einer senkrecht von der Decke filmenden Kamera direkt auf die Leinwand. Am Schluss tanzt Katja F.M. Wolf noch ein langes Solo, durchmisst den Raum, steckt ihre Zonen ab – sie hat sich in der neuen Umgebung längst gefunden. PETER ORTMANN
7. bis 9. September, 20:00 UhrInfos: 0211-87678718