: Schills unheiliges Händchen
Landgericht verurteilt Polizisten, der einen unbewaffneten Einbrecher in den Rücken schoss, zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Richter befindet, er habe sämtliche Polizeivorschriften missachtet
von Kai von Appen
„Blinder Eifer schadet nur!“ Mit dieser Formel verurteilte gestern das Hamburger Landgericht den Polizisten Wolfgang Sch. überraschend zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge. Er hatte an Heiligabend 2002 den unbewaffneten Einbrecher Julio V. (25) getötet. „Der Angeklagte hatte Polizeivorschriften weniger ernst genommen und aus falsch verstandenem Diensteifer V. in den Rücken geschossen“, sagt der Vorsitzende Richter Claus Rabe: „Er ist nun aus dem Polizeidienst zu entlassen.“
Laut Richter Rabe kann „aufgrund der Position des Opfers von einer Bedrohungssituation überhaupt keine Rede sein“. Sch. hatte als Schutzbehauptung angegeben, „in Notwehr“ gehandelt zu haben. Er habe eine Waffe vermutet, fühlte sich am Fenster des Treppenhauses als „Zielscheibe“ wie eine „Maus in der Falle“. „Diese Einlassung ist widerlegt“, befindet Rabe. Vielmehr habe der Hauptkommissar unter Missachtung aller Dienstvorschriften auf den Fliehenden im Hof geschossen, ohne diesen durch den Ruf „Halt Polizei“ zu warnen – getreu seiner Devise: „Ich bin 20 Jahre Polizist, ich lasse keinen Einbrecher laufen.“
Dennoch unterstellt Rabe dem als Draufgänger bekannten 43-jährigen Polizisten „keine Tötungsabsicht“, wovon im März die St. Georger Amtsrichterin Katja Reitzig ausgegangen war, die das Verfahren an die Schwurgerichtskammer verwies. „Er nahm zwar eine mögliche Tötung billigend in Kauf“, attestiert Rabe, „er hat sie aber in der Situation nicht realisiert.“
Für das Gericht spielte Ex-Innensenator Ronald Schill in dem Komplex eine finstere Rolle. Der hatte noch am Tatabend Sch. in der Wache 31 aufgesucht, ihm ein Gespräch aufgezwungen und „putative Notwehr“ attestiert. „Der Angeklagte ist dieser Idee aufgrund der Invention des Ex-Innensenators verfallen“, so Rabe. Auch nach dem SOG-Polizeigesetz dürfe „nur im Notfall auf die Beine geschossen werden“, bekräftigt Rabe. „Der Schuss hatte gänzlich zu unterbleiben.“ Sch. und sein Kollege Jens von H. waren damals zu einem Einbruch in den Uhlenhorster Weg gerufen worden. Entgegen der Vorschriften war Sch., ohne auf seinen Kollegen zu warten, allein in das Treppenhaus gestürmt.
Sch‘s. Verteidiger Herbert Peter kündigte Revision an. Durch die Einmischung Schills habe dieses Verfahren eine falsche Dimension erfahren. Heiligabend musste die Faktenlage noch unklar gewesen sein: „Herr Schill hat meinem Mandanten großen Schaden zugefügt“, klagt Peters.
Für Nebenklagevertreter Manfred Getzmann geht das Urteil „subjektiv“ in Ordnung, obwohl er auf Totschlag plädiert hatte. Staatsanwalt Udo Bochnik hat indes nur 3.000 Euro Geldstrafe wegen fahrlässiger Tötung gefordert. „Es ist nach fast drei Jahren ein vernünftiger Abschluss“, sagt Getzmann, „auf der Flucht in den Rücken zu schießen, war schon im Wilden Westen verpönt.“ Anders sieht es natürlich der emotional völlig aufgebrachte Vater des Niederländers Julio V.: „In Holland gibt es für so etwas 15 Jahre – er ist ein Mörder.“