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Archiv-Artikel

das taz-Wahlbarometer

DANIEL COHN-BENDIT (60), Chef der Grünen im EU-Parlament, prophezeit Professor Paul Kirchhof im Falle eines Wahlsieges von Angela Merkel (CDU) eine Mini-Amtszeit als Finanzminister. Grund: „Die Frau Merkel erzählt ständig, dass sie den Kirchhof als Visionär will, aber nur unter der Bedingung, dass sie nichts mit seinen Visionen zu tun haben muss, weil ihre einzige Vision das Wahlprogramm der CDU sei.“ Das gehe nicht gut. Für Cohn-Bendit ist Kirchhof ein Neoradikaler. „Mit der Reform der Rente von der Umlagefinanzierung zur privaten Rentenversicherung, wie Kirchhof sie visioniert, propagiert er die radikalste neoliberale Wende. Er kündigt den sozialen Konsens, der seit dem Wiederaufbau der Bundesrepublik gilt.“ Um sich das Ausmaß mal klar zu machen: „Das ist, als würde ich sagen, jetzt wird hier die demokratische Räterepublik eingeführt.“ Und, um in der Merkel-Logik zu bleiben: „Die Grünen hätten mich nach Brüssel geschickt, weil ich die Räterepublik einführen will, allerdings unter der Maßgabe, die Räterepublik nicht einzuführen.“ Sind Sie verwirrt? Sie werden es schon bald nicht mehr sein. Denn, so Cohn-Bendit zur taz: „Nach spätestens drei Monaten ist der Kirchhof weg.“

GREGOR GYSI (57), Spitzenkandidat von Die Linke/PDS, hat der taz gestanden, das TV-Duell Schröder-Merkel nicht gesehen haben. Man hat ihm aber darüber berichtet. Daraus schließt er, „dass es so gelaufen ist, wie ich es mir gedacht habe“. Grundsätzlich: Das Medium Fernsehen konditioniere Politiker darauf, höchstens 90 Sekunden zu reden. Folge: Verlust politischer Kultur. Gysi gestern als Gast der taz-Redaktionskonferenz: „Viele Politiker können gar nicht mehr länger als 90 Sekunden reden.“ Er schon, das bewies er umgehend.