: Krieg in Pink
Das Ehepaar Kelterborn sammelt politisch brisante Kunst. In der Ausstellung im Mönchehaus Goslar geht es um Bürgerkrieg im Ostkongo, türkische Rüstungskonzerne und Sehnsucht in der DDR
Aus Goslar Bettina Maria Brosowsky
Es war nicht nur ein Ausflug in den tiefen Winter, sondern auch ein wenig in eine andere Zeit, als Mitte März eine große Ausstellung der privaten Sammlung des Ehepaars Kelterborn im Mönchehaus Goslar eröffnete. Das Frankfurter Paar sammelt seit rund 20 Jahren hauptsächlich Videokunst und Fotografie, nach eigenen Angaben zu politisch brisanten und gesellschaftsbezogenen Themen. Darunter ist manches, das sich mit dem geteilten Deutschland und seiner späteren Rezeption beschäftigt, vielleicht auch aus biografischem Grund.
Mario von Kelterborn, Jahrgang 1969, ist in Ostberlin aufgewachsen, ging 1990 zum Studium nach Westdeutschland und arbeitete anschließend als Banker und Unternehmensberater in Frankfurt. Seine Frau Julia Schlecker-von Kelterborn war lange für internationale Werbeagenturen tätig. Von ihr soll die Initiative zum Sammeln ausgegangen sein, primär für den privaten Genuss. Der Gatte nimmt für sich in Anspruch, mit dem richtigen „Sammler-Gen“ das Profil bestimmt zu haben. In einem Interview sagte er einmal, jede Generation frage nach ihren eigenen Medien und Ausdrucksformen der Kunst, da sich Technologien und Sehgewohnheiten konstant änderten. So sei es zu dem Schwerpunkt gekommen, mit dem er in die Öffentlichkeit drängt.
Mario von Kelterborn interessiert, wie Ausstellungsbesucher auf die mitunter verstörenden Bilder reagieren, und ob sie bereit sind, sich über gewisse, sichere Positionen hinaus einzulassen. Aber selbst wenn jemand einem Werk, von dem er sich nicht angesprochen fühlt, nur kurze Aufmerksamkeit schenkt, sei Kelterborn nicht enttäuscht – denn vielleicht bewege ihn ja etwas anderes? Die Sammlung ist dafür ausreichend vielfältig und umfasst auch Arbeiten der Plastik und Installation, da viele Künstler ohnehin multimedial arbeiten.
Nachdem sie 2014 in der Bremer Weserburg ausgestellt wurde, ist die Sammlung nun ein zweites Mal umfassend im Norden präsent. Dieses Mal liegt ein Akzent auf der Reflektionsfähigkeit moderner Medien jenseits der Produktion schneller Nachrichtenbilder. Das Mönchehaus wiederum, getragen von einem Verein zur Förderung moderner Kunst, setzt mit der Schau seine lose Reihe zu unterschiedlichen Ansätzen zeitgenössischer Kunstakquise fort.
Museum als Schlachtfeld
Gleich zu Beginn des Rundgangs schlägt Hito Steyerl in einer Videoarbeit den politischen Grundtenor der Ausstellung an. Die 1966 in München geborene Deutsch-Japanerin wurde im letzten Jahr vom britischen Magazin Art Review zur wichtigsten Künstlerin des Jahres erklärt, sie ist, laut einer internationalen Jury, die einflussreichste Persönlichkeit in der weltweiten Kunstszene – was auch immer das bedeuten mag.
„Is the Museum a Battlefield?“, fragte Steyerl 2013 in ihrer humorvoll-bissigen Vortragsperformance zur Istanbul-Biennale, die man im Mönchehaus auf Sandsäcken kauernd verfolgen kann. Nicht nur, dass türkische und internationale Rüstungskonzerne das Kunstevent in Istanbul finanzieren, Steyerl sieht unmittelbare Beziehungen zwischen militärischen Konflikten und dem Kunstmarkt. Sie spricht von einem zyklischen „post-genozidalen“ Kunst- oder Architektur-Boom. Denn woran, fragt sie, erkenne man, dass eine Region kurz vorher verwüstet wurde? Ihre Antwort: Daran, dass global operierende Stararchitekten wie Frank O. Gehry, Rem Koolhaas oder Zaha Hadid dort bauen dürfen. Und dass gern mit fraktalen Bauformen gearbeitet wird, deren Fassaden so aussehen, als hätten die weltweit zirkulierenden Lenkwaffen sie durchsiebt.
Eye-Catcher der Ausstellung sind die großformatigen Bilder des irischen Fotografen und Filmemachers Richard Mosse, die er 2012 im Osten des Kongo aufnahm. Auch sie haben Krieg und Gewalt zum Thema: Im Ostkongo wütete zwischen 1996 und 2003 ein von der Weltöffentlichkeit ignorierter Bürgerkrieg, der 5,5 Millionen Opfer forderte und als Konflikt bis heute anhält. Mosse nahm Kontakt zu Warlords und Milizen auf, begleitete sie auf Patrouillen oder in Flüchtlingslager und dokumentierte Leid und Gräueltaten. Für seine monumentalen Fotografien setzte er antiquiertes Infrarotfilmmaterial ein, wie es etwa die Alliierten im Zweiten Weltkrieg für Aufklärungszwecke verwendeten, und taucht so Landschaft und Vegetation in betörendes Pink. Das polarisiert zweifelsohne in seiner Ästhetik, bringt das Publikum aber zum genauen Hinsehen. Es sind Bilder, an denen man nicht einfach vorbeigeht.
Ähnlich ergeht es einem mit den Aufnahmen des südafrikanischen Fotografen Mikhael Subotzky. Er dokumentierte einen heruntergekommenen Wolkenkratzer, ehemals ein Prestigeprojekt, der seinen Bewohnern nur prekäre Wohnsituationen bietet. Metaphorisch dafür zeigt Subotzky Porträts im Aufzug.
Sehnsuchtsorte der DDR
Ein Booklet navigiert die Besucher durch 35 Arbeiten auf fünf Ausstellunggeschossen im verwinkelten Fachwerkgebäude. Und nicht nur für die, die noch das Lebensgefühl im geteilten Berlin kennen, hält der Rundgang wahre Schätze bereit.
Da wären etwa Fotografien aus der späten DDR, von der westdeutschen Barbara Klemm wie dem ostdeutschen Harald Hauswald. Beide zeigen in stillen Bildern den sozialistischen Alltag abseits der Parteiideale: baulicher Verfall, jugendliches Aufbegehren oder gleichmütiges Einrichten im Unvermeidbaren. Konterkarierend dazu wirkt der ironische „Städtefilm Berlin-West“ der Künstlergruppe „Die tödliche Doris“, der 1983 die „Metropole Europas“ anpreist. Nur möglich im Westen der Stadt: die fundamentale Kunst- und Institutionskritik durch Ulay, den langjährigen Partner der Performancekünstlerin Marina Abramovic. Ihm gelang es 1976, das Karl-Spitzweg-Gemälde „Der arme Poet“, geschätzt auf zwei Millionen Mark, aus der Nationalgalerie zu entwenden und an verschiedene Orte abseits des etablierten Kunstkontextes zu bringen, um es nach 30 Stunden unversehrt zurückzugeben. Jüngere ostdeutsche Künstler wie Mario Pfeiffer oder Sven Johne wiederum reflektieren aus der Distanz der Nachwendezeit die Sehnsuchtshorizonte der DDR. Und man erfährt: Sie lagen nicht zwangsläufig im Westen.
Ausstellung „Breaking News“: bis 10. Juni, Mönchehaus Goslar
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