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Archiv-Artikel

Das Montagsinterview„Das schmerzt schon“

Nach vier Jahren im Bundestag ist Hamburgs Sozialdemokrat Niels Annen zurück in der Wirklichkeit – und an der UniversitätDIÄTEN ODER HARTZ IV Er ist mit Leib und Seele Politiker und verlor sein Mandat auf unappetitliche Weise. Der 36-Jährige ist das prominenteste Opfer der Streitereien in Hamburgs SPD. Die muss ihre Fehler aufarbeiten, um wieder erhobenen Hauptes auftreten zu können – und Niels Annen will nach 24 Semestern den Bachelor machen

Niels Annen, 36

■ ist in Hamburg geboren und zur Schule gegangen. Er hat dort und in Madrid studiert. 1989, mit 16 Jahren, trat er in die SPD ein und war 2001 bis 2005 Bundesvorsitzender der Jusos. Seit 2003 gehört er dem SPD-Bundesvorstand an. Von 2005 bis 2009 war er Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Hamburg-Eimsbüttel.

INTERVIEW SVEN-MICHAEL VEIT

taz: Herr Annen, seit Samstag sind Sie nicht mehr Bundestagsabgeordneter. Haben Sie das schon realisiert?

Niels Annen: Ja, klar, ich hatte fast ein Jahr Zeit, mich darauf vorzubereiten, nachdem ich im vorigen November nicht wieder aufgestellt worden bin. Viele meiner Kollegen haben ja erst am Wahlabend erfahren, dass sie nicht wieder dabei sind. Insofern gab es bei mir keinen Schock.

Sind denn Ihre Wunden verheilt nach den heftigen und langwierigen Auseinandersetzungen mit ihrem Konkurrenten Danial Ilkhanipour um die Kandidatur im Wahlkreis?

Ich war mit Leib und Seele Abgeordneter und hätte gerne weitergemacht. Und ich glaube in aller Bescheidenheit sagen zu dürfen, ich war nicht ganz erfolglos. Insofern schmerzt es mich, dass ich nicht mehr Bundestagsabgeordneter bin. Aber ich habe schon im vorigen November bei der Nominierung im SPD-Kreisverband meine Niederlage akzeptiert und Herrn Ilkhanipour gratuliert …

Herrn Ilkhanipour?

Ja, er hatte eine Stimme mehr als ich, 46 zu 45.

Sind sie per Sie?

Nein. Siezen gilt ja in der SPD fast als Beleidigung.

Eben.

Ok, ich habe also Danial gratuliert.

Der aber hat das Direktmandat am 27. September krachend an die CDU verloren.

Das ist eine katastrophale Niederlage für die SPD. Jahrzehntelang war Eimsbüttel eine Hochburg für uns, und jetzt dieser Erdrutsch.

Ilkhanipour hat nur etwa halb so viele Stimmen bekommen wie Sie vier Jahre zuvor. Denkt man da nicht: „Seht ihr, ich wäre der bessere Kandidat gewesen“?

Ich war geschockt, ganz klar. Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber das ist kein Grund für billigen Triumph. Der Wahlkreis ist weg, und meine Partei muss einen Scherbenhaufen kitten. Da müssen persönliche Befindlichkeiten hintenanstehen.

Stichwort Scherbenhaufen: Wie könnte die Hamburger SPD es wieder schaffen, zumindest mal über die 30-Prozent-Marke zu blinzeln, von größeren Zielen ganz zu schweigen?

Wir müssen zunächst unsere parteiinternen Probleme aufarbeiten. Dazu zählt der Stimmzettelklau 2007. Das war eine kriminelle Tat, die tiefe Wunden geschlagen und der ganzen Partei ein schlimmes Glaubwürdigkeitsproblem beschert hat. Das ist noch nicht überwunden. Auch die Auseinandersetzungen um die Art und Weise, wie hier in Eimsbüttel Danial Ilkhanipour zu seiner Kandidatur gekommen ist, haben der SPD weit über Hamburg hinaus geschadet. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir miteinander umgegangen sind. Die Methoden, mit denen einige hier Mehrheiten organisieren, schrecken die Menschen ab. Alle, die die SPD mit Solidarität in Verbindung bringen, mussten sich abgestoßen fühlen.

Es war zeitweise schlicht unappetitlich.

So kann man es auch ausdrücken. Und das alles müssen wir glaubhaft aufarbeiten, damit wir wieder erhobenen Hauptes vor die Menschen treten können. Aber angesichts der Probleme in Hamburg können wir jetzt auch nicht jahrelang in Gruppentherapie gehen. Die Krise um die Nordbank oder die wachsende soziale Kluft zeigten: Die Stadt bracht eine starke SPD. Ich glaube, Olaf Scholz ist genau der Richtige, um diesen Prozess zu steuern. Er hat die Akzeptanz und das Standing in der Partei.

Darf’s vielleicht auch noch eine programmatische Erneuerung sein?

Wir müssen auch an einigen Stellen inhaltliche Punkte klären, keine Frage. Vor allem in der Schulpolitik, was nicht einfach sein wird. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen und weiterhin gute Oppositionsarbeit machen. Dann werden wir auch wieder die Chance bekommen, in Hamburg zu regieren.

Das wird knapp. In gut zwei Jahren, im Februar 2012, ist schon wieder Bürgerschaftswahl.

Das ist ein volles Programm, keine Frage. Aber es gibt dazu keine Alternative. Wir müssen das machen.

Um sich im Frühjahr 2011, etwa ein Dreivierteljahr vor der Wahl, mit glänzendem Programm und einem glänzenden Spitzenkandidaten als wieder wählbar zu präsentieren?

Ihr Spott in allen Ehren: Ja. Die Botschaft der WählerInnen an uns ist angekommen. Wir haben sie verstanden, jetzt müssen wir das aufarbeiten und umsetzen. Ich habe keine Angst vor dem ambitionierten Zeitplan, sondern vor einer resignativen Haltung des „Es wird schon irgendwie werden“. Das wird es nämlich nicht.

Sind diese Aussagen ein Warmlaufen für die Hamburger Spitzenkandidatur 2012?

Um Himmels Willen, nein. Darüber mache mir ganz ehrlich keine Gedanken. Ich bin gerade aus dem Bundestag geflogen, das ist kaum eine Empfehlung für höhere Ämter, oder? Und Personaldebatten werden wir in der SPD ganz gewiss als Letztes führen.

Wie geht es dann persönlich und politisch weiter mit Niels Annen? Wollen Sie vielleicht Ihr Studium doch noch abschließen?

Ja, so eine Niederlage ist ja auch immer eine Chance. Ich mache im Moment in der Tat mein Studium der Geschichte zu Ende an der Humboldt-Universität in Berlin.

Welchen Abschluss?

Bachelor.

Ein Bachelor mit 36 Jahren und 24 Semestern ist kein Ruhmesblatt.

Fatale Intrige

In November 2008 unterlag Niels Annen bei der Nominierung für die Bundestagswahl 2009 mit einer Stimme gegen den 27-jährigen Jura-Studenten Danial Ilkhanipour. Der hatte seine Bewerbung erst bekannt gegeben, nachdem er sich der Mehrheit der Delegierten sicher war.

■ Nach wochenlangem Streit trat der SPD-Kreisvorstand zurück. Große Teile der Basis boykottierten Ilkhanipours Wahlkampf. Eine Ortsvorsitzende rief zur Wahl des CDU-Konkurrenten auf.

■ Bei der Bundestagswahl am 27. September landete Ilkhanipour abgeschlagen auf dem dritten Platz hinter Rüdiger Kruse (CDU) und Krista Sager (Grüne). Erstmals seit 1949 verlor die SPD das Direktmandat im Wahlkreis. Hamburgs SPD-Chef Ingo Egloff trat zurück.

Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe. Ich war drei Jahre Bundesvorsitzender der Jusos, ich bin seit Jahren im SPD-Bundesvorstand und habe vier Jahre als direkt gewählter Abgeordneter meinen Wahlkreis in Berlin vertreten …

Mitte 30, ohne Studienabschluss, noch nie richtig gearbeitet – das könnte man auch als gescheiterte Existenz bezeichnen.

Jüngere Politiker kriegen oft den Spruch „Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal“ zu hören – das muss man auch bei einer 70-Stunden-Woche ertragen können. Lebenswege sind nun mal unterschiedlich. Ich stehe zu meinem. Jetzt freue ich mich darauf, mein Studium zu beenden.

Viel Erfolg.

Kein Grund zur Häme. Ich gehöre zu der auch in der SPD immer seltener werdenden Spezies der Arbeiterkinder. Meine Eltern haben Volksschulabschlüsse, mein Vater war Elektriker. Ich konnte als Erster in der Familie das Abitur machen und auf die Universität gehen. Ich betrachte es als Privileg, Mitglied des Bundestages gewesen zu sein. Und vielleicht komme ich ja einmal wieder, so alt bin ich ja noch nicht.

Und bis dahin? Bekommen Sie einen Job in der Partei oder beantragen sie Hartz IV?

Im Frühjahr nächsten Jahres gehe ich als Senior Fellow des German Marshall Funds – eine amerikanische Stiftung, die sich um transatlantische Beziehungen bemüht – für ein halbes Jahr nach Washington und werde dort weiter zu Fragen der Außenpolitik arbeiten. Zuvor kandidiere ich Mitte November auf dem Bundesparteitag in Dresden wieder für den Bundesvorstand und werde, wenn die Delegierten mich wählen, weiter ehrenamtlich Politik in der SPD machen.

Muss man zum Politikmachen eigentlich geboren sein oder kann man das lernen? Ist ja kein Ausbildungsberuf.

Das ist wie mit dem Fußball-Nationaltrainer – viele Leute glauben, das könnten sie auch oder besser.

In erster Linie glauben viele, dass man als Politiker vor allem im Hinterzimmer kungeln können muss.

Dann bin ich offenbar ungeeignet. Sonst wäre ich ja wohl noch im Bundestag.