: Jenseits der Berliner Coolness
THINK-TANKS Wie steht es um die Zukunft unserer Demokratie? Dieser schwergewichtigen Frage widmet sich das aktuelle Heft der Zeitschrift „Polar“. In die Sophiensaele wurde zu Vorstellung, Diskussion und Party geladen
VON HELMUT HÖGE
Polar ist eine Halbjahreszeitschrift aus den „Think-Tanks“ der Grünen. Ihre erste Nummer hieß: „Was fehlt“. Am Samstag stellte die Redaktion in den Sophiensaelen ihre siebte Ausgabe – „Ohne Orte“ – vor, verbunden mit einer Podiumsdiskussion und einer Party. In der Einladung hieß es: „Wie steht es um die Zukunft unserer Demokratie? Was erwarten wir von den Parteien? Was von sozialen Bewegungen? Diese Fragen diskutieren wir mit interessanten Gästen, die uns weiter helfen könnten.“
Trotz des überraschenden Kälteeinbruchs kamen etwa 100 Interessierte. Ich erfuhr, dass das Wort „Polar“ nichts mit „Eiszeit“ zu tun hat, wie ich gedacht – und worin einer der eingeladenen Referenten, der HUB-Rechtswissenschaftler Christoph Möllers, mich bestärkt hatte: „Wir leben in restaurativen Zeiten.“ Der Titel Polar bedeutete vielmehr: „Polarisiert euch!“; also eher etwas Hitziges. Zwar fiel dann in der Debatte mehrmals das Klaus-Hartung’sche Unwort „Alarmismus“ – jedoch in abwehrendem Sinne.
Worum ging es? „Um den Versuch, jenseits der Berliner Coolness Politik und politische Praxis zu verhandeln“, wie der Polar-Redakteur Peter Siller einleitend erklärte.
Es war eine seltsame Veranstaltung, die meisten Zuhörer saßen aufmerksam zwei Stunden da, keiner holte sich von der Theke was zu trinken oder ging eine rauchen. Ich hatte den Eindruck, man war gespannt auf den Stil der Veranstaltung, den Ton (der grünen Intelligenz). Danach hatte ich auch schon in den bis jetzt sieben Polar-Ausgaben geforscht.
Irritierend war, dass im Publikum zwei ehemalige Hausbesetzerinnen saßen. Die eine war inzwischen Philosophieprofessorin geworden, sie blieb jedoch stumm.
Auch in dem eher biederen – für Menschenrechte und gegen Wahlfälschung über die halbe Welt ausgeschwärmten – Polar-Heft „Ohne Orte“ war ich schon auf Irritierendes gestoßen: dass da plötzlich mittendrin die „politische Ökologie“ von Bruno Latour auftauchte – wenn auch kurz, aber immerhin. Für Latour sind „Politiker nicht länger glaubwürdig. Sein Gegenvorschlag ist eine objektorientierte Demokratie. Eine Repräsentation der Dinge. Um eine angemessene Form für diese Dingpolitik und einen Gegenentwurf zum Parlament mit seiner komplexen Maschinerie aus Reden, Hören, Wählen, Erörtern zu finden, müssen Repräsentationstechniken aus unterschiedlichen Versammlungstypen zusammengestellt werden.“
Der Referent Thomas Leif, Autor von „Parteien in der Nachwuchsfalle“, der als Einziger im Sophiensaal „Old School“ ausstrahlte, schien die Lobbyisten, Experten und Berater (wie McKinsey und Roland Berger), die bereits das Kerngeschäft der Politik betreiben, nämlich Gesetze erarbeiten, für die nächstliegende Gefahr der Demokratie zu halten. Im Übrigen war auch er der Meinung, dass die Parteien eher „Blockierer als Motor demokratischer Prozesse sind“.
Die Europaabgeordnete der Grünen, Rebecca Harms, eine Baumschulgärtnerin, die in der Anti-AKW-Bewegung politisiert wurde und in der Wendländischen Filmkooperative mitarbeitete, fügte dem – aus eigener leidvoller Erfahrung – noch die Agenturen hinzu, die für die Parteien und Kandidaten die Wahlkämpfe konzipieren, deren „Inhalte und Ziele sie dabei eher verstecken“: Harms trat diesmal zum Beispiel unter der inhaltsleeren Parole „Wumm“ an.
Authentisch wie Ströbele
Auch dass selbst die – diesmal allerdings fast ausgebliebenen – „TV-Duelle“ völlig durchgeplant werden, führe nicht gerade „zur Polarisierung und Politisierung“ der Wähler. Harms wirkte so sympathisch lebenserfahren und „authentisch“ wie, sagen wir, Christian Ströbele, dafür war sie nicht gerade ein „Highflyer in Science“.
Der HUB-Jurist Möllers gab ihr gegenüber zu bedenken: „In unserem föderalen System sind alle fünf Parteien irgendwo auch an einer Regierung beteiligt – und müssen von da aus vorsichtig sein mit dem Polarisieren.“ Der Journalist Leif sah das Parteienproblem darin, dass der „Willensprozess“ dort von oben nach unten verlaufe.
Jemand aus dem Publikum meinte daraufhin: Der „Übergang von Bonn nach Berlin“ habe die politische Willensbildung verschlechtert. Ein anderer: Zur Demokratisierung brauche es außerinstitutionelle Anstöße, „auf der Straße tut sich derzeit allerdings auch nicht viel“. Ein Dritter sprach von einer beidseitigen „politischen Apathie“.
Rebecca Harms konkretisierte das: „Am meisten ist das Parlament runtergewirtschaftet. Das wird auch von innen und von außen so gesehen.“ Zwischen Regierung und Parlament herrsche nur noch Respektlosigkeit. Für Möllers nichts Neues, entscheidend sei immer „die Opposition“.
■ Polar 7, 192 Seiten, 14 €. Infos unter www.polar-zeitschrift.de