: Gestern im Modeorgan
Gibt‘s noch nicht auf Rezept: Doktor Stratmann, kabarettierender Arzt aus Essen, feiert ein rundes Bühnenjubiläum. Zehn Jahre „heiteres medizinisches Kabarett“ und Promis zur Premiere. Ein Porträt
VON BORIS R. ROSENKRANZ
„Machensichmafrei, bitte!“ Diesen Satz hat Ludger Stratmann schon oft gesagt. Noch öfter als Gerhard Schröder gesagt hat, dass Deutschland auf dem „richtigen Weg“ ist. „Machensichmafrei, bitte!“ Mit Sex hat das nichts zu tun, damit es da nicht versehentlich zu Missverständnissen kommt. Stratmann muss so reden, er ist Arzt. Als solcher aber nur halb so bekannt wie als Kabarettist. Doktor Stratmann: Dieser Name ist nur schwer wegzudenken aus dem Ruhrgebiets-Kabarett; wenn das überhaupt geht, etwas wegdenken.
Zehn Jahre musste es dauern, so lange steht der Mann nun auf der Bühne, bis endlich der Standard-Arzt-Satz als Titel für ein Stratmann-Kabarett herhalten durfte. Gestern Abend feierte das vierte Programm des kabarettierenden Arztes Premiere in der Essener Lichtburg. Und da auch das zehnjährige Bühnenjubiläum bejubelt wurde, quoll die Gästeliste zum ganzen Stolz Stratmanns beinahe über: Wolfgang Clement, Jean Pütz, Stephan Holhoff-Pförtner. Jürgen Rüttgers, Bettina Böttinger, Max Schauzer. Solche Menschen kündigen ihr Kommen an, wenn man zehn Jahre „heiteres medizinisches Kabarett“ (Eigendefinition Stratmann) macht.
Zurück: Deutschland, 1948. Im ostwestfälischen Verl schlüpft Ludger Stratmann. Als achtes von neun Kindern! Nach dem Besuch der Volks- und Handelsschule folgt eine Banklehre, das verspätete Abitur am Abendgymnasium und schließlich ein Medizin-Studium in Essen und Bochum. Wie es heißt, das erste Thema in seinem Leben, das Stratmann wirklich interessierte. Deshalb blieb er auch dabei, promovierte sogar, um sich anschließend täglich zehn Topfen Kabarett zu verschreiben. 1994 eröffnete Ludger mit Bruder Christian (der heute im Wanne-Eickler „Mondpalast“ den Boulevard mit Geschichten pflastert) das heutige Stratmanns-Theater im Europahaus Essen. Im Juli 1995 dann Ludgers erster Auftritt: „Hauptsache, ich werde geholfen...“ hieß das Debüt-Programm, Hagen Rether klimperte das Piano, es ging um Medikamentenmissbrauch und Hypochondrie, die Menschen lachten.
Und heute? Stratmanns Feld ist und bleibt die Medizin, im Hauptberuf wie auf der Bühne. Das neue Programm widmet sich neben dem „lieben Geld“ (was Hartz-Minister Clement interessieren dürfte) und Nikotin-Sucht in Reha-Kliniken und bei Katzen auch ausgiebig den menschlichen Innereien, zum Beispiel dem „Modeorgan Nr. 1“, wie Stratmann sagt – dem Darm. Schreckliche Bilder stellen sich da ein: Zum Beispiel Susan Stahnke, wie sie in Position einer hilflosen Schildkröte via TV das Innerste ihres Abfallschlauches präsentierte. Sehen wollte das niemand, gesehen hat es jeder zweite, obwohl letztlich nur die verblüffende Erkenntnis blieb, dass Promis innen genau so aussehen wie alle anderen auch. Für Stratmann ist der Reiz aber noch ein anderer: „Fernsehstars zeigen ihr wahres Gesicht bei öffentlichen Darmspiegelungen“, heißt es zum neuen Programm. Darmspiegelung? Wahres Gesicht? Kann man so sagen.
Abgesehen davon, dass die Darm-Aussteller-Schelte etwas verspätet kommt: Stratmann hebt die Zipperlein seiner Patienten so locker auf die Bühne, dass sich seit zehn Jahren selbst hartnäckige Hypochonder beim Lachen erwischen – obwohl sie gerade mal wieder einen neuen Krebs in sich wuchern hören. Man sollte also überlegen, liebe Krankenkassen, ob man chronischen Patienten einen Besuch bei Doktor S. nicht wenigstens empfehlen könnte. Auf Rezept gibt‘s ihn ja noch nicht.