: Zu viele Männer
Lidokino (8): Mütter müssen immer weinen. Als wäre das nicht schlimm genug, verwechseln dumme Journalisten auch noch Kino und Leben
VON CRISTINA NORD
„Frau Sarandon“, sagt die Journalistin vom Hollywood Reporter während der Pressekonferenz zu John Turturros Musical „Romance & Cigarettes“, „Sie spielen eine Ehefrau und Mutter, die von ihrem Ehemann betrogen wird. Trotzdem verzeihen Sie ihm am Ende des Filmes. Glauben Sie, dass dies beispielhaft dafür ist, wie Ehefrauen und Mütter sich ihren untreuen Ehemännern gegenüber verhalten sollten?“ Die Frage überträgt die Fiktion umstandslos auf die Wirklichkeit, als hätte Susan Sarandon Expertise zum Thema allein schon aufgrund der Tatsache, dass sie eine Rolle gespielt hat.
Wie antwortet man darauf? Souverän, wenn man Susan Sarandon heißt: „Je älter ich werde, umso mehr ändert sich mein Standpunkt in dieser Frage“, sagt die Schauspielerin. Vielleicht deshalb, weil sie selbst erlebt habe, wie leicht man in Versuchung kommt. „Es ist sehr schwer, eine monogames Leben zu führen.“
Das Schöne an diesen Sätzen ist die Gelassenheit, mit der sie vorgetragen werden. Auf den Gedanken, man werde Zeuge, wie Sarandon etwas preisgebe, kommt man in keinem Augenblick. Sie tritt selbstbewusst auf, wie jemand, der zu Recht auf seinen Werdegang stolz sein kann.
Ob ihr Engagement wider den Irakkrieg ihre Karriere beschädigt habe, will ein anderer Journalist wissen. „Das Einzige, was du in Hollywood tun kannst, um deine Karriere zu beenden, ist, alt und fett zu werden“, lautet die Antwort. Ein Anflug von Ernüchterung macht sich dennoch bemerkbar. Die große Zahl von Filmen, deren Portagonisten mittelalte, weiße, heterosexuelle Männer sind, kündet in Sarandons Augen von einem Mangel an Fantasie und Leidenschaft.
Wie eingeschränkt der Rahmen ist, in dem Schauspielerinnen ab einem bestimmten Alter sich bewegen, zeigt sich während eines Ausflugs nach Venedig. Auf der Kunstbiennale, im Rahmen der von Maria de Corral kuratierten Ausstellung „The Experience of Art“, stellt die südafrikanische Künstlerin Candice Breitz ihre Videoinstallation „Mother + Father“ vor. Darin spielt auch Sarandon eine Rolle. In zwei dunklen Räumen sind jeweils sechs Bildschirme nebeneinander angebracht. Der Raum linker Hand gehört den Vätern: Tony Danza, Dustin Hoffman, Harvey Keitel, Steve Martin, Donald Sutherland und Jon Voight. Rechter Hand agieren die Mütter: Faye Dunaway, Susan Sarandon, Meryl Streep, Diane Keaton, Julia Roberts und Shirley MacLaine.
Die Darsteller werden aus den jeweiligen Filmenvironments – zum Beispiel aus „Stepmom“ oder „Kramer vs. Kramer“ – herausgelöst und agieren nun vor schwarzem Hintergrund. Dabei kommt es zu einer stark rhythmisierten, bisweilen an Slapstick heranreichenden Verdichtung jener Momente, in denen sich elterliche Gefühle respektive das, was Mainstream-Regisseure sich darunter vorstellen, Bahn brechen. Faye Dunaway verpasst einem unsichtbaren Gegenüber wieder und wieder dieselbe Ohrfeige. Diane Keaton stößt zehnmal hintereinander denselben Ausruf aus: „Why?“, und Susan Sarandon rollt den Kopf so, dass Julia Roberts auf dem benachbarten Bildschirm die Bewegung weiterführt. Das ist frappierend, insofern man selten so zugespitzt sieht, was zum rollenspezifischen Repertoire der Hollywood-Mütter zählt: Hysterie in Gestalt von Tränenausbrüchen und melodramatischen Sätzen. Die Väter indes kommen nicht aus der Ruhe.
Zurück auf dem Lido läuft im Wettbewerb ein Film, der das Sujet des weiblichen Älterwerdens fortspinnt. „Vers le Sud“ von Laurent Cantet folgt einer von Charlotte Rampling verkörperten Literaturprofessorin ins Haiti der späten Siebzigerjahre. Sie ist Sextouristin, und sie steht dazu: „Frauen über 40 finden niemanden in Boston“, sagt sie, „höchstens Loser oder Ehemänner, die von ihren Frauen betrogen wurden.“ Nachdem der französische Regisseur in „L’emploi du temps“ oder „Ressources humaines“ subtil verfolgt hat, wie sich wirtschaftliche Verhältnisse ins Innerste eines Menschen hineinfressen, ist es traurig zu beobachten, wie er diesmal an der Reichweite seines Themas scheitert. Den verschiedenen Formen des Rassismus, der Repression in dem karibischen Land, den Vorstellungen von romantischer Liebe bei gleichzeitiger sexueller Ausbeutung kommt „Vers le Sud“ nur nahe, solange die Protagonisten Thesen formulieren.