Autokanzlers Völkchen

„Du fährst am Limit, manchmal drüber, ey, das ist geiler als Sex“

AUS BERLIN WALTRAUD SCHWAB

Wenn Heidi Hetzer „Pkw“ sagt, wird ihre Stimme weich. „Das Auto ist mein Leben.“ Die 68-jährige Rennfahrerin ist mit ihm groß geworden. Ob Gerhard Schröder aber noch Deutschlands Autokanzler ist, diese Frage interessiert sie nicht. „Ist so ein Ding von der Presse“, sagt sie. „Schröder soll was mit Audi zu tun haben, wegen dem Logo mit den vier Ringen. Vier Ringe – vier mal verheiratet.“

In Hetzers Büro stehen hundertfünfzig Pokale. Große Rallyes ist sie gefahren: Panama–Alaska, Tour d’Europe, auch das Berliner Avus-Rennen, obwohl sie Rundenfahren nicht mag.

„Gut, auch ein paar Damenpokale sind unter den Trophäen.“ Das passt ihr nicht, dass angenommen wird, Frauen am Steuer könnten mit Männern nicht konkurrieren. Allerdings gilt: Aus ihrer Sicht hat das Auto die Frauen emanzipiert. Schon deshalb ist eine Gesellschaft, Benzinpreis hin oder her, ohne dieses Gefährt nicht mehr denkbar.

Hetzer verkörpert die durch das Auto emanzipierte Frau perfekt: In drei Wochen wird sie mit ihrer Corvette, Baujahr 57, in Sardinien beim zweiten Coppa Smeralda wieder an den Start gehen. Es ist für sie Abenteuer. „Bei so ner Rallye kann ich das Auto bewegen, den Motor reparieren, mich rausfordern lassen.“

Wo andere an einer Kette ihr Sternzeichen um den Hals tragen, hängt bei Hetzer das saphirbestückte Opel-Emblem. Eigentlich ist sie Autohändlerin. Nicht „Heidi Hetzer“ – „Opel Hetzer“ ist der Berliner Markenbegriff. Ihr Vater hat 1919 mit Motorrädern angefangen. Der Tochter hat er die Begeisterung zum Schrauben mitgegeben. Bis heute kann sie es nicht lassen. „Ich bin immer neugierig, was kaputt ist und wie ich es in den Griff kriege.“

Deshalb hängt sie an ihren fünfunddreißig Oldtimern, die in einer Tiefgarage geparkt sind. „Schade, dass man an den modernen Autos nicht rumschrauben kann. Da sind viel zu viele Sachen dran, die mich gar nicht interessieren“, meint sie, obwohl sie als Händlerin gerade die Neuen an den Mann bringen muss. Um auf plus/minus Null zu kommen, muss sie hundert Neuzulassungen haben im Monat. Derzeit gehen die Geschäfte nicht gut. „Wenn ich nur Geschäftsfrau wäre, wenn ich Hobby und Beruf nicht verbinden könnte, wär ich längst pleite.“

Als Rennfahrerin ist Heidi Hetzer noch immer gefragt. Neulich, als sie auf der Rennstrecke in Oschersleben in Sachsen-Anhalt war, fuhr Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe in ihrer Corvette mit. Und zum Sommerfest beim Axel Springer Verlag war sie auch auf den Dachgarten geladen. „In einer Ecke Kohl mit seiner neuen Freundin, in der anderen dieser Politiker, der auch mal Kanzler werden wollte … na wie heißt er denn, mit seiner Von-und-zu. Händchenhaltend und noch immer verliebt.“ Sie ist gerührt, dass sie dabei sein darf. „Ich steh wohl auf ner Liste.“

Irgendwann ist sie auf dem Dach Otto Ziege begegnet. Radsportler war der Achtzigjährige Berliner mal, er mischt noch heute beim Sechstagerennen mit. Seinen Lebensunterhalt finanziert er mit einer Tankstelle. „Komm Otto“, hat sie da gesagt, „wir bleiben jetzt zusammen hier stehen. Von unserer Sorte gibt’s doch nicht mehr viele.“

Wenn es ums Auto geht, haben Politik und Wirtschaft den Menschen aus dem Blick verloren. Das meint Roland Kayser. Auf den ersten Blick fällt es schwer zu glauben, dass er der richtige Mann ist, um so etwas zu sagen, dass er gar ein Autofanatiker sein soll. Einer, der nicht wie von einer Mutter, sondern gar von einem Mercedes gesäugt daherkommt.

Der 42-Jährige sitzt hinter seinem schwarzen Schreibtisch im Berliner Meilenwerk, einem ehemaligen Straßenbahndepot im Berliner Westend, in dem heute die teuren Karossen der Autosammler gleichzeitig geparkt und ausgestellt sind. Kayser sieht wie ein Junge aus.

Verwandte nannten ihn als Kind nur „der Vertreter“, weil er immer mit Koffer verreiste, in dem seine Autosammlung drin war. Für ihn lag es auf der Hand, dass er später Fahrzeugtechnik studieren würde.

Eine steile Karriere in der Autoindustrie, die über BMW und Volkswagen zu Ford und binnen dreizehn Jahren von der Entwicklung bis ins Management führte, schloss sich an. Die Einspritzpumpen, die Bosch verwendet, wurden von Kayser entwickelt, und die Scheibenverklebung bei VW ist seinem Know-how zu verdanken.

Außerdem hat Kayser an der Umkonstruierung von Autos für neue Märkte gearbeitet. In Asien etwa müssen die Wagen monsuntauglich sein. Ein paar Jahre lang hat er Autos für Ford unter solchen Extrembedingungen getestet. Mit getarnten Prototypen, die im Fachjargon „Erlkönige“ heißen, war er in Taipeh bei Smog und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, am Polarkreis bei minus 47 Grad, im amerikanischen Death Valley bei über 50 Grad plus und sonst wo.

„Ich hab meine Sache zu gut gemacht“, sagt er heute. Denn 2003 wird er ins Management von Ford geholt. Seine Aufgabe: Er muss die Teilevielfalt der Marken Ford, Mazda, Land Rover, Volvo, Jaguar und Aston Martin reduzieren. „Da werden Charaktere kaputt gemacht.“ Damit ist er nicht einverstanden. „Ich hab mich mit Direktoren und Vorständen rumgestritten, die kein Benzin im Blut haben.“

Kayser passt nicht ins gängige Bild vom Autonarren. Er ist Mitglied der Grünen Partei und hat sich für das Diversity Management, das Minderheitenrechte im Firmenstatut verankert, stark gemacht. Ein Querdenker eben. Dem hohen Ölpreis kann er deshalb insofern etwas abgewinnen, weil das die Ölkonzerne antreibt, endlich mehr in die Entwicklung von Alternativen wie Sunfuel – Treibstoff auf pflanzlicher Basis – zu investieren, wie er meint. Auch die Autokonzerne engagierten sich in dieser Richtung zu wenig. Seine Kritik ist vernichtend: „Die Industrie arbeitet am Kunden vorbei. Zu teuer, zu hochtechnisiert, zu gleich. Man entwickelt in die Autos Hightech hinein, die niemand braucht.“

Kayser ist Anfang 2004 ausgestiegen. Im Meilenwerk vertreibt er nun Oldtimer, meist Sechziger-Jahre-Modelle, die in seiner Werkstatt auf einen angemessenen technischen, auch umwelttechnischen Stand gebracht werden. „Die alten Autos sind wirtschaftlicher, sie sind einfacher, sie sind leichter. Und sie sind schon alleine deshalb umweltgerechter, weil sie bereits existieren“, sagt er. Zu seinen Kunden zählen Botschaften, Unternehmer und Fünf-Sterne-Hotels.

Thomas Kaiser ist sicher nicht darunter. Seine Träume und sein Alltag wollen nicht so recht zusammenpassen. „Der Benzinpreis ist mir scheißegal; lieber hungere ich, als auf Rennen zu verzichten“, sagt er. Kaiser – „kannst mich Tommy nennen“ – tankt ausschließlich Shell, Super, 100 Oktan. Da schüttet er Oktan-Booster rein, damit es noch mehr wird. Denn vor vier Jahren ist der gebürtige Neuköllner zum Hobbyrennfahrer avanciert.

Ein Bekannter hat ihn damals zum Saisonfahren des Porsche-Clubs Berlin auf dem Michelin Driving Center im brandenburgischen Großdölln geschleppt. „Fahr- und Sicherheitstraining“ hieß das Event. „Da hat es sowas von gefunkt!“ Bis dahin hat Kaiser sich mit Modellautos im Maßstab eins zu zehn rumgeschlagen. Aber als er da auf der Rennstrecke stand, „da wollt ich es richtig haben“. Seither braucht er den Kick.

„Alte Autos sind schon umweltgerechter, weil sie bereits existieren“

„Ich komm inne Zeitung.“ Jedem, der über den alten Garagenhof in der Transvaalstraße im Berliner Wedding läuft, erzählt er dies. „Die suchen ’nen Autofanatiker. Ich weiß von keinem, der es mehr ist als icke.“

Kaisers Stolz steht in der Garage mit der Nummer 19. Der Mann mit den Locken stellt sein Bier ab, um den Holzverschlag zu öffnen. Viel mehr außer einer Karosserie von einem Golf, Baujahr 1987, ist nicht zu sehen. In dieser Woche soll sie rot lackiert werden. Fünfhundert Euro kostet das. Zwei Drittel seines Arbeitslosengeldes.

Kaiser hat ganz schön Pech gehabt. Sein erster Polo wurde im Mai zu Schrott gefahren, nachdem er ihn endlich aufs Feinste herausgeputzt hatte: den 130-PS-Motor frisiert, die Nockenwelle scharf gemacht, die Vorderachse getunt, Spezialstoßdämpfer eingesetzt, den Überrollkäfig eingebaut samt Spezialsitzen. Siebentausend Euro hat er reingesteckt. Beim letzten Rennen – „Thommy in action“ – konnten ihn ein Mini mit 147 PS und ein Polo mit 163 PS erst abhängen, als seine Reifen heiß liefen und schmierig wurden, erzählt er. Er zeigt den Stapel mit abgefahrenem Profil. Zwei Reifen kosten hundertdreißig Euro und halten zwei Rennen. Egal. Wenn er im Auto sitzt, steigt das Adrenalin. „Du bremst am Limit, du fährst in den Kurven am Limit, manchmal auch drüber, ey, das ist geiler als Sex. Vergiss die Weiber.“

Völlig fertig sei er, wenn er nach zehn Runden aus dem Auto steigt. Wie unsexy, dass ihm auf der Avus in einem ganz normalem Stau einer mit vollem Karacho reinfuhr. Die Versicherung hat noch 4.500 Euro für seine Karre bezahlt. „Hab lange gebraucht, um das zu verkraften.“

Jetzt bastelt sich Kaiser einen Golf – gleiches Baujahr – neu zusammen. So rot wie der alte. Der Benzinpreis sei für ihn kein Thema.

Kaiser fährt sein Auto eigentlich nur auf Rennen fünfmal im Jahr. Kostet ihn immer dreihundert Euro, davon hundert Euro Sprit. Was er aber verloren hat: „Das Vertrauen in die Wirtschaft mit Arbeitslosigkeit und so. Die Politiker sollten mal nen Monat lang versuchen, auf Hartz IV über die Runden zu kommen. Das möcht ich sehen, wie die das machen.“

Er kann sich den Rennsport nur leisten, weil seine Lebensgefährtin mitzieht. Von ihrem Einkommen als Mädchen für alles bei einer Versicherungsanstalt finanziert sie ihn und die Tochter mit, erzählt er und öffnet eine neue Pulle. Dass es schlimmer kommen könnte – er kann sich’s nicht vorstellen.