Brüder, zur Sonne

Gerhard Schröder gibt den Umweltkanzler und sonnt sich in zunehmenden Sympathiewerten für die SPD. In seiner wohl letzten Regierungserklärung fordert er: Weg vom Öl, hin zu erneuerbaren Energien

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Er ist einer von denen, die schuld daran sind, dass Gerhard Schröder gerade seine letzte Regierungserklärung abgegeben hat. Nur weil sich der Kanzler auf Leute wie ihn nicht mehr verlassen konnte, geht Rot-Grün vorzeitig zu Ende. So jedenfalls steht es in dem Dossier, das der Kanzler dem Bundespräsidenten überreichte, um zu begründen, warum es Neuwahlen geben muss: Winfried Hermann, linker Grüner, ein unsicherer Kantonist.

Hermann hat das nie verstanden. Er hat überall beteuert, dass er Vertrauen in den Kanzler habe. Er wollte, dass Rot-Grün weitermacht, solang es geht. Jetzt, nach Schröders letzter Rede, versteht Hermann wohl erst recht nicht mehr, warum alles so schnell und selbstzerstörerisch enden musste. Er klatscht dagegen an.

Hermann ist als einer der Ersten aufgesprungen, um dem Kanzler stehend zu applaudieren. Es ist mehr als eine Pflichtübung. Er strahlt. Es hat ihm gefallen, was Schröder gesagt hat. Kein Wunder: Hermann ist der umweltpolitische Sprecher der grünen Fraktion im Bundestag.

Noch nie hat der Kanzler so eine Rede gehalten. Ein Bekenntnis zur ökologischen Politik von Rot-Grün, wie es Hermann selbst nicht kraftvoller hätte formulieren können. Seine Regierung, hat Schröder gesagt, werde „nach wie vor und noch entschiedener eine Politik betreiben, die uns unabhängig macht vom Öl“. Eine Politik, „die der Klimakatastrophe entgegenwirkt“. Eine Politik, von der „inzwischen deutlich“ geworden sei, „dass sie ohne Alternative ist“. Nur wenn Deutschland bei der Entwicklung von erneuerbaren Energien vorne dranbleibe, könne man auch wirtschaftlich mithalten. Die Alternative, die Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel vorschlage, nämlich die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke – das, hat Schröder hinzugefügt, sei eine Rückkehr in die Vergangenheit, eine Rolle rückwärts, die „zum Scheitern verurteilt ist“.

Ohne Alternative – das war in Schröders Reden bisher vor allem die rot-grüne Sozialpolitik. Zum Scheitern verurteilt – das ist nach allgemeiner Auffassung aller Medien und Demoskopen: er, der Kanzler, der sich mit seiner Sozialpolitik in den eigenen Reihen nicht durchsetzen konnte. Mehr als eine Abschiedsrede, da waren sich vorher auch wohl Gesinnte einig, könne Schröders letzte Regierungserklärung doch gar nicht mehr werden. Oder?

Schröder versucht, was fast unmöglich scheint: Aufbruchstimmung zu verbreiten. Einmal, zumindest dieses eine Mal noch, will er seine Gegenkandidatin in die Defensive drängen, die sich schon so siegessicher gibt. Die ihm später in der Bundestagsdebatte zurufen wird: „Sie sind Vergangenheit, Herr Bundeskanzler.“ Noch nicht, noch nicht! – das ist Schröders Botschaft. Er ist als Erster dran, er setzt das erste Thema. Als Vorlage benutzt er die schrecklichen Bilder aus dem untergegangenen New Orleans, die Bilder von der Flut in Bayern. Die haben Eindruck gemacht, hofft er. So großen Eindruck, dass die Menschen nicht mehr nur an ihre Arbeitsplätze denken. Dass sie einen Ausweg aus der drohenden Klimazerstörung suchen. Einen Ausweg, den nur er anbieten kann. Er, der große Umweltkanzler. Geschenkt, dass er früher vor allem als Autokanzler galt. Dass er sich „weniger Trittin“ im Kabinett wünschte. Wenn es gerade passt, erneuert sich der Kanzler eben selbst. Und jetzt passt es ihm sehr. Weil er ein Manko der Gegnerin erkannt zu haben glaubt. „In Ihrer Zeit als Umweltministerin“, ruft er Merkel zu, sei fast nichts geschehen, um erneuerbare Energien zu fördern. Rot-Grün habe den Anteil der erneuerbaren Energien verdoppelt – und in diese Richtung werde es auch weitergehen. Weitergehen?

Schröder redet tatsächlich so, als stünde sein Abschied nicht unmittelbar bevor. Dagegen anzureden, darin ist er inzwischen Meister.

Fast scheint es, als sei Schröder gedopt – durch die neuesten Umfragen, die zum ersten Mal keine Mehrheit für Schwarz-Gelb mehr ermitteln. Die für die SPD 34 Prozent anzeigen – 3 Prozentpunkte mehr als vor Schröders Fernsehduell mit Merkel. Und mehr als Oskar Lafontaine bei seiner Kanzlerkandidatur 1990 schaffte – ihn zu übertreffen, ist angeblich Schröders geheimes Wahlziel. Als neues offizielles Ziel wird Schröder am Abend 38 Prozent nennen.

Auf dem SPD-Parteitag hatte Schröder sich noch darauf konzentriert, Merkel als unsozial, ja „unmenschlich“ anzuprangern. Das tut er auch im Bundestag. Aber er tut noch mehr. Er redet wieder über die Zukunft.

Über die eigene Politik hatte der Kanzler bei seinen letzten Auftritten fast nur noch in der Vergangenheitsform gesprochen: „Wir haben Reformen eingeleitet.“ „Wir waren erfolgreich.“ Irgendjemand muss ihm seitdem gesagt haben, dass das nur nach Abschied klang, nach Resignation. Und dass er den Programmen der siegessicheren Opposition eigene Konzepte entgegenhalten muss, um halbwegs überzeugend darzulegen, dass es mit sozialdemokratischer Regierungspolitik weitergehen kann. Irgendwie. Und sei es ohne ihn, in einer großen Koalition. Also sagt Schröder jetzt wieder viel öfter: „Wir werden …“, und zum ersten Mal seit ewigen Zeiten erwähnt er die Bürgerversicherung als Gegenmodell zu Merkels Kopfpauschale. Die Bürgerversicherung? Hatte er nie gewollt – sie ist eine Idee der Grünen. Aber was soll’s, wenn sie ihm jetzt doch noch als Mittel dient, um Tatendrang zu demonstrieren?

Noch nie war er so grün. Ob sich die Grünen darüber wirklich freuen können, wird sich zeigen.

Die Oppositionsführer wirken so, als wüssten sie nicht recht, wie sie auf so viel Chuzpe reagieren sollen. Natürlich halten sie Schröder vor allem die Arbeitslosenzahlen und die Schulden vor. „Das ist eine Bilanz, die einfach zur Abwahl aufrufen muss“, sagt Edmund Stoiber. Merkel sagt etwas holprig, Schröders Rede sei „Hohn in den Augen“ derer, die Angst um Arbeit haben. Zur Energiepolitik äußert sie sich nur, „weil das ein Standortfaktor ist“.

Womit bestätigt wäre, was Schröder behauptet hatte: dass Merkel rein ökonomisch denke. Natürlich ganz im Gegensatz zu ihm, dem erneuerbaren Kanzler.