Jenni Zylka
Ausgehen und rumstehen
: Ding-Ding und die Tube Senioren-Gelenkgel auf dem Rücken

Statt dem Beast from the East die Stirn zu bieten, gönnte ich mir ein paar Cremöngchen

So viel los in dieser knorken Stadt, das passt auf keine Kuhhaut. Wir versuchen’s trotzdem: Am Donnerstag war Cindy Wilson in der Kulturbrauerei, die Cindy-„Heroes falling to the ground / like hell’s magnet pulls me down“-Wilson von den grandiosen B-52’s, und ihr Soloalbumdebüt „Change“ ist ein echter Bringer an abgehangener Breezyness. Cindy ist süße 61, trägt die Beehive-Perücke nur noch privat und sang so gut gelaunt zu ihrem Theremin, dass sich die Balken bogen. Leider interessierte das aber eher wenige, sodass noch viel zu viel breezy air in den Zuschauerraum des Frannz Clubs passte.

Doch da es ja immer heißt, dass man von der Bühne aus das Publikum nicht sieht, weil einen die Scheinwerfer blenden, habe ich einfach pfiffig in verschiedenen Tonlagen gejubelt und dabei ständig die Position im Raum verändert – es kann doch nicht angehen, dass Cindy und ihre tolle Band sich ungeliebt fühlen. Den Trick habe ich von der Hörspielplatte zur Augsburger-Puppenkiste-Geschichte „Bill Bo und seine Bande“ geklaut, da erweckt nämlich Ding-Ding, die Tochter des Burg-Dingelstein-Grafen, allein durch Sound den Eindruck, dass die Burg viel zu gut bewacht ist für die Räubergesellen. Schlaues Ding, diese Ding-Ding. Und auf die Puppenkiste sollte man ja heuer ohnehin anstoßen, weil sie nämlich 70 wird, was man ihr kein bisschen ansieht. Allerdings mag das durchaus kurzsichtiges Freundesauge sein, das sich täuscht – ich bin nicht sicher, ob die Puppenkiste überhaupt noch junge Fans hat oder doch eher nur uns alte Anhänger, deren Gangart sich wegen der morschen Knochen immer mehr denen der Marionetten annähert und die sich darum dort eher repräsentiert fühlen als in so manchem Club.

Aber egal, am Samstag schmierte ich den ollen Rücken dick mit Senioren-Gelenkgel ein und hüpfte trotzdem aus dem Haus, wenn auch nicht weit – das eiskalte ­„Beast from the East“ hielt mich davon ab, in seine Richtung zu fahren, ich blieb auf ein paar Cremöngchen in Kreuzberg, bin ja nicht mohndoof, und habe zudem langsam keine Lust mehr auf frisurzerstörende Mützen. Die sollen HamburgerInnen tragen, denen macht das nix.

Sonntag dagegen, als das Beast eingeschlafen war, ging es mit frischem Schwung zu der sakralen Schwedin Anna von Hausswolff in den Festsaal, die vielleicht die Kleinste (und die mit dem interessantesten Nachnamen) auf der Bühne war, aber ihrem Synthie so riesenhafte und gespenstische Kirchenorgelsounds entriss, dass man gleich Lust auf Schwarze Messen bekam. Dabei meint die Frau das gar nicht so satanisch, sondern sie mag eben die große Geste und findet wahrscheinlich einfach, dass die Kirchenorgel mit ihren eingeweidekraulenden Pfeifen ein „symbol of my individuality“ ist, wie Nicolas Cage es so hübsch von David Lynch in „Wild At Heart“ in den Mund gelegt bekam, damals, als David Lynch noch nicht an die Kraft des Yogischen Fliegens glaubte.

Und wo wir gerade bei Lynch, Cage und Konsorten sind – an den Oscar-Sonntagen denke ich immer drüber nach, was ich sagen würde, wenn mich die große Frau mit dem Tigergesicht, die die US-Red-Carpet-Show moderiert, fragen würde: „Honey, what are you wearing?“ – „A whole tube of Gelenkgel“, müsste ich dann wohl antworten. Ein Glück konnte ich die Oscarnacht stattdessen im Bett liegend erleben. Beziehungsweise: Dass ich das noch erleben darf – Mark Hamill, der einen „R2Metoo“-Witz macht! Und dass ich das NICHT erleben darf: Jonny Greenwood, der einen Oscar für die beste Filmmusik bekommt, und Oscars für die beste Regisseurin und die beste Kamerafrau. Dauert wohl doch alles noch.