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Archiv-Artikel

Auf Regentropfen surfen

Der schönstmögliche Gitarrenpop: Noch einmal wagt sich die New Yorker Band Nada Surf mit ihrem Album „The Weight Is A Gift“ an den ganz großen Indiepop-Entwurf. Das freundschaftlich verbandelte Projekt Maplewood widmet sich der Americana

Nada Surfs letztes Album inspirierte eine Sammlung von Kurzgeschichten und eine Untersuchung über die Kunst des Songschreibens

VON THOMAS WINKLER

Vor ein paar Wochen landeten Matthew Caws, Daniel Lorca und Ira Elliot in San Diego. Sie kamen aus Brooklyn, New York, aber sie wussten, wie es der Song verspricht, dass es niemals regnet in Südkalifornien. Sie mieteten Cabriolets. Sie fuhren mit ihren Freundinnen durch die Sonne. „Aus der Entfernung“, lächelt Elliot, „wirkt es wie eine Fantasie.“ Die mit der Wirklichkeit vor Ort immerhin dann mithalten kann, wenn man sie ohne Verdeck bereist. Für die Zuhausegebliebenen gibt es nun immerhin „The Weight Is A Gift“, das neue und vierte Album von Nada Surf.

Denn für die elf Songs dieser Platte wurde eigens eine eigentlich längst verschlossene und versiegelte Wundervolle-Melodien-Fabrik instand besetzt. Dieser war ungefähr Mitte der Neunzigerjahre vom Popmusikgeschäft per einstweiliger Verfügung der Betrieb untersagt worden, um Konkurrenz auszuschalten für die fürchterlich langweilige Mainstreamware, mit der sie bis heute den Massenmarkt zu verstopfen pflegt. Währenddessen hatte eine Abfolge von Plattenfirmenpleiten, Vertriebspech und vertraglichen Pannen verhindert, dass Nada Surf in ihrer Heimat allzu bekannt wurden.

Mit einem guten Dutzend Plattenfirmen in der ganzen Welt, wird grob geschätzt, war man bisher verbunden. Nur ihre allererste Single „Popular“, produziert von dem damals angesagten Ric Ocasek, hatte sich 1996 zu einem kleinen Hit entwickelt, der allerdings dafür sorgte, dass der Band allzu lange das Image der College-Rocker anhaftete. Zwischenzeitlich schienen Nada Surf so tief in der Sackgasse zu stecken, dass das Management eine Namensänderung vorschlug. Gitarrist, Sänger und Songschreiber Matthew Caws gelangen, wie er früher einmal leicht resigniert feststellte, nur Nummer-eins-Hit – allerdings für einen anderen Planeten.

Heute ist man zwar nicht mehr vollkommen allein, aber doch in recht handverlesener Gesellschaft, wenn man an die übermenschlichen Fähigkeiten des Trios glaubt, „einen Song einfach sein zu lassen, was er sein will“, wie Caws es beschreibt. Auch wenn „Let Go“, der drei Jahre alte Vorgänger von „The Weight Is A Gift“, bereits eine Sammlung von Kurzgeschichten inspirierte und ihre Songschreiberkünste bereits wissenschaftlich untersucht wurden: Noch gehört man zu den wenigen, die wissen, welches Schätzchen ihnen zu entdecken vergönnt war.

Ginge es gerecht zu auf dieser Welt, dürfte dieses Geheimnis allerdings nicht mehr lange ein gut gehütetes bleiben und „The Weight Is A Gift“ sich wie geschnitten Brot verkaufen. Denn Nada Surf erfinden zwar nicht gerade das Rad neu, das wahrlich nicht, aber das tun sie grandios. Durch jeden Track scheinen andere Helden des amerikanischen Alternativpops zu spazieren, mal legendäre, mal längst vergessene. Mal stammen sie aus den Achtzigern, mal aus den Neunzigerjahren: „Concrete Bed“ gemahnt an die flatterhafte Nervosität der Feelies, das wie um sich selbst rotierende Gitarrenriff aus „Blankest Year“ könnte von Dinosaur Jr. geklaut sein, „All Is A Game“ erinnert an die berufsjugendliche Euphorie von Big Dipper, „Do It Again“ zitiert die vertrackten Harmoniegesänge der dB’s, die aktuelle Single „Always Love“ schwelgt in verschwenderischen Gesangsbögen wie man sie von den Lemonheads kennt, in „Imaginary Friends“ finden sich die flirrenden Gitarren der Cheepskates, in „In The Mirror“ die folkigen Wurzeln von Yo La Tengo und der Hang zum epischen Hängertum aus „Your Legs Grow“ könnte von Galaxy 500 stammen.

Viel Namedropping für gerade mal 38 und eine halbe Minute, ein allzu weites musikalisches Spektrum decken diese Referenzen allerdings nun auch wieder nicht ab. Die Beschränkung fördert – wenn auch womöglich ein, zwei oder vielleicht sogar vier Jahrzehnte zu spät – die vielleicht wundervollste Gitarrenpopplatte zutage, die momentan denkbar ist. Ein Ausflug an die Westküste mit großen Augen, der so wohl nur möglich ist für eine Band, die in der europäischsten Stadt der USA zu Hause ist; deren Songschreiber lange Jahre in Frankreich gelebt hat; deren Bassist in Brüssel aufwuchs, Verwandtschaft in Spanien hat und angeblich ein intimes Verhältnis zur französischen Chansonette Coralie Clement. Auf deren aktueller Platte hat Lorca Gitarre gespielt und auch zwei Songs mitkomponiert. Mit Clements Bruder und Songschreiber Benjamin Biolay planen Nada Surf demnächst eine Zusammenarbeit.

Auch ohne Fremdsprachenkenntnisse hat Ira Elliot seinen Teil beizutragen zur Adaption ganz und gar nicht urbaner Musikgenres. Der Schlagzeuger, der seine Karriere bei den Sixties-Trash-Rockern The Fuzztones begann, spielt neben Nada Surf noch bei Maplewood, einem Allstar-Nebenprojekt aus Mitgliedern verschiedener New Yorker Bands wie Koester oder Sparklehorse.

„Wir hatten zuerst den Namen der Band“, erzählt Elliot, „dann stellten wir eine Liste mit Songtiteln zusammen, und dann erst wurden die Songs zu den Titeln und dem Bandnamen geschrieben.“ Die Songs auf ihrem unwirklich schönen, selbst betitelten Debütalbum heißen nun „Indian Summer“, „Santa Fe“, „Poconos“ oder „Desert Queen“, huldigen mit zwölfsaitigen Gitarren und schier endloser Ruhe Gram Parsons und den Flying Burrito Brothers, Roger McGuinn und den Byrds, zitieren Bands wie America, Buffalo Springfield, Little Feat, selbst Poco oder die Eagles, kurz: beschwören das goldene Gründungszeitalter der Americana herauf, ein ideelles Kalifornien des Herzens. Und klingen dabei mitunter originaler als die Originale. „Von außen sieht man klarer“, glaubt Elliot, „und wahrscheinlich gefällt uns diese Kultur deshalb so gut, gerade weil wir an der Ostküste leben.“

So singt Mark Rozzo nun also ganz ungebrochen „Where are the highways we once knew“, Steve Koester kontert mit „windy lanes of rocks and guns“, und alle zusammen sind mit Maplewood mittlerweile fast erfolgreicher als mit ihren eigenen Bands Champale und Koester. Für Auftritte wirft man sich in Cowboy-Boots und Western-Hemden. „Man zieht ein Kostüm an wie ein Schauspieler“, so Elliot, „um sich in die richtige Stimmung zu bringen.“ Wo Wilco nach Brüchen und Metaebenen suchen, bedienen sich Maplewood ganz unverfroren bei den Klängen und Stimmungen, die die Westküste zu bieten hat.

Echte Maplewoods gibt es in New Jersey, Missouri oder Minnesota, aber das wahre Maplewood liegt in Kalifornien. Die Heimstatt des Klischees darf wieder zum Sehnsuchtsort werden. Und die Musik darf wieder mächtig werden. So mächtig, dass man zwar weiß, dass es in Kalifornien auch in den Sechzigerjahren hin und wieder mal geregnet haben muss, aber tief im Innersten, ganz unbewusst sich längst die Überzeugung festgesetzt hat, dass in diesem Jahrzehnt dort kein Tröpfchen fiel. Denn manchmal gibt es Musik, die kann Wetter machen. Das Klima beeinflussen. Die Sonne scheinen und Regenwolken aufziehen lassen. Das Herz wärmen. Eigentlich sollte jede Musik das können, nicht jede aber kann. Maplewood können das, Nada Surf können das.

Nada Surf: „The Weight Is A Gift“ (City Slang/Rough Trade). Maplewood: „Maplewood“ (Tapete/Edel)