: „Übersichtlich ist er ja“
ANGST Die Architektin Ingrid Hermannsdörfer kümmert sich bei der Polizei um die Frage, wie man gefährliche Orte baulich entschärft. Den Alex hält sie eher für unproblematisch
■ Am Sonntag vor einer Woche wurde der 20-jährige Jonny K. auf dem Alexanderplatz von einem Trupp junger Männer so verprügelt, dass er im Krankenhaus verstarb. Die Polizei geht von mindestens fünf Tätern aus. Zu deren Ergreifung wurden 15.000 Euro Belohnung ausgesetzt. Inzwischen gebe es 40 Hinweise zu der Tat, aber die Zahl der Zeugen, die sich melden, nehme ab, sagte ein Polizeisprecher am Montag am Rande des parlamentarischen Innenausschusses. Die Bürger sollten intensiv prüfen, ob sie Erinnerungen oder gar Aufnahmen auch aus der Umgebung des Alex hätten. Der Innenausschuss gedachte des Toten mit einer Schweigeminute.
INTERVIEW PLUTONIA PLARRE
taz: Frau Hermannsdörfer, die tödliche Prügelattacke auf dem Alexanderplatz hat eine erneute Sicherheitsdebatte ausgelöst. Sollte man den Alex besser meiden?
Ingrid Hermannsdörfer: Natürlich nicht. Dieser Gewaltexzess hätte überall passieren können.
Medien bezeichnen den Alexanderplatz als Schmelztiegel der Aggression. Deckt sich das mit der Beobachtung der Polizei?
Überhaupt nicht. Sicher gibt es auf dem Alexanderplatz Probleme, es gibt Gruppen, die sich treffen und Alkohol konsumieren. Das verunsichert manche Leute per se, zumal diese Gruppen manchmal laut werden und aggressiv wirken. Das heißt aber nicht, dass von diesen Gruppen eine echte Gefahr ausgeht.
Was charakterisiert den Alex?
Der Platz an sich hat keine besonders große Aufenthaltsqualität. Es gibt dort auch nicht viele Anwohner, die sich mit dem Platz identifizieren würden. Er zerfällt in viele unterschiedliche Bereiche. Primär herrscht Durchgangsverkehr. Die vielen Baustellen machen das Ganze noch ein bisschen ungemütlicher.
Es gibt schon lange eine Alex-Initiative, in der neben Anwohnern, Gewerbetreibenden und Vertretern des Bezirksamts auch Polizisten sitzen. Was ist das Anliegen?
Es geht darum, den Platz attraktiver zu machen, es geht um Beleuchtung und Müllentsorgung und darum, die Orientierung zu erleichtern. Aus Sicht der städtebaulichen Kriminalprävention ist es uns wichtig, dass öffentliche Orte von möglichst vielen unterschiedlichen Menschen angenommen werden. Ich muss dazu sagen, dass es die Initiative schon vor meiner Zeit gab.
Städtebauliche Kriminalprävention – was heißt das genau?
Wir beraten bei Planungen. Es gibt Brennpunkte, wo sich bestimmte Straftaten häufen, wo es weniger soziale Kontrolle gibt. Das ist ja, was wir herstellen wollen. Dass die Leute ein bisschen aufeinander aufpassen und sich mit dem Ort identifizieren, Verantwortung übernehmen. Außerdem gucken wir, was sich baulich und räumlich verbessern lässt, um Tatgelegenheiten zu mindern. Was den Alexanderplatz betrifft, gibt es nicht so viele Konzepte aus kriminalpräventiver Sicht, die da greifen würden. Übersichtlich ist er ja nun mal. Und die Rathauspassage, wo die Tat geschah, war in voller Länge einsehbar, sie war beleuchtet, es waren sogar noch andere Leute auf der Straße.
Alles nur ein Medienhype?
In gewisser Weise ja. Aber das passiert immer, wenn so ein Vorfall passiert. Dann wird der Ort unter die Lupe genommen.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat gefordert, mehr Kameras zur Überwachung einzusetzen. Wie stehen Sie dazu?
Wir wissen ja nun, dass Leute, die gewaltbereit sind und vielleicht auch zu viel getrunken haben, sich in vielen Fällen auch von Videoüberwachung nicht abhalten lassen. Die hilft der Polizei eher bei der Aufklärung von Vorfällen. Ich denke nicht, dass man flächendeckende Videoüberwachung anstreben sollte und müsste. Solche Affekttaten sind nicht rational.
Sie sind seit knapp zwei Jahren bei der städtebaulichen Kriminalprävention. Was für Orte haben Sie schon unter die Lupe genommen?
Wir sind fast jeden Tag unterwegs, oft geht es um Kleinigkeiten. Konkrete Negativbeispiele nennen wir grundsätzlich nicht. Das Sicherheitsempfinden der Leute ist so beeinflussbar, gerade auch durch Medienberichterstattung.
Die Leute sind verunsichert, weil etwas in der Zeitung steht?
Genau. Dann heißt es: Da wird etwas umgestaltet, weil da was passiert ist. Da gehen wir erst mal nicht mehr hin.